+++ English Version below +++
„Es tut mir leid“, sagt sie und den Satz danach kann ich nicht glauben. Es muss ein Missverständnis sein, es wird sich bestimmt alles gleich auflösen, denke ich. Aber ihr Gesichtsausdruck verändert sich nicht. „Ich weiß wirklich nicht, was ich euch anbieten soll“, sagt sie noch.
Zehn Stunde zuvor.
„Bist du endlich fertig?“, fragt S., nachdem ich zum fünften Mal gesagt habe, dass wir jetzt endlich losmüssen, nur um noch einmal die Stiegen hinaufzuflitzen, weil mir noch etwas eingefallen ist.
S. sitzt seit zwanzig Minuten fertig angezogen auf der Couch.
Jetzt bin ich aber endlich auch fertig, also packen wir die Koffer und Taschen, die für zwei Wochen Urlaub reichen würden in mein Auto.
„Postcode von der Pension hast du?“
„Hab ich.“
Ab nach Wales.
Fünfeinhalb Stunden sagt das Navi, das nie den Verkehr miteinrechnet. Und zunächst geht es auch zügig voran, die M3 Richtung London, dann die M4 nach Westen und ich denke mir, weil ich aus Erfahrung nicht lerne, dass wir am frühen Nachmittag schon dort sein werden.
Nach etwa zweieinhalb Stunden kommen die großen Stützen in Sicht: Die massive Prince of Wales Bridge über den Fluss Severn, der im Süden England und Wales trennt.
Davor hat es einen Tunnel gegeben, erfahren wir in einem Museum in Sudbrook , für dessen Bau 76 Millionen Ziegelsteine verwendet wurden. Ich kann mir unter der Zahl nichts vorstellen.
Obwohl mir England schon so grün vorgekommen ist, wird die Natur nun immer grüner, sanfter, satter. Die Straßen werden schmaler und kurviger, die Dörfer niedlicher.
Mittlerweile habe ich das Gefühl schon drei Tage unterwegs zu sein, aber laut Navi sind es immer noch fast drei Stunden bis zum Ziel.
Wir machen im nächsten Ort und eine Kaffeepause. Ich finde eine Bäckerei, die „German Bread“ anbietet und meine Freude ist so groß, dass mich die Verkäuferin für verrückt halten muss.
Ziegelstein, nennt S. richtiges Brot, und ich würde am liebsten 76 Millionen Stück davon kaufen.
Wir gehen zurück zum Auto, das mittlerweile ein Backofen ist, und ich kann es kaum glauben, dass das Navi immer noch knapp drei Stunden anzeigt.
Die Straßen sind nun so kurvig, dass mir selbst am Fahrersitz beinahe übel wird und alle paar Kurven ist die Landschaft so schön, dass wir kurz anhalten müssen. Bis wir an eine Umleitung kommen, die uns eine halbe Stunde aufbrummt und wir beschließen, nicht mehr stehen zu bleiben, weil es sich sonst bald nicht mehr auszahlt, bis zur Pension zu kommen.
Ich ärgere mich, nicht davor weniger Stopps gemacht zu haben, weil die Natur nun noch hübscher ist. Aber zumindest geht die Ankunftszeit endlich ein wenig nach unten.
Die Sonne auch.
Die Landschaft wird dünner besiedelt.
Mein Magen beginnt zu knurren und streitet sich mit der Angst nicht rechtzeitig zur Pension zu kommen. Die Angst gewinnt, verspricht dem knurrenden Magen aber Ausschau nach einem passenden Restaurant zu halten und dieses sofort nach dem Beziehen des Zimmers aufzusuchen.
Wir fahren durch die letzte größere Ortschaft vor dem Ziel, überqueren die Brücke, fahren ein wenig zu weit, müssen umdrehen, erkennen die schmale Abzweigung und Rattern über den Kiesweg zum Bauernhaus.
Viertel vor acht, perfektes Timing.
Hungrig taumeln wir aus dem Auto, klingeln.
Die ältere Bäuerin, die uns die Tür öffnet, runzelt die Stirn.
„Es tut mir leid“, sagt sie, „aber wir sind seit Wochen ausgebucht. Ich habe doch ein Mail geschrieben, dass nichts mehr frei ist.“
Panik, Herzrasen, Leichtigkeit im Kopf.
Ich krame mein Handy heraus, finde nur die Buchungsbestätigung der Buchungsplattform – doch dann sehe ich es, ungeöffnet, versteckt im überquellenden Postfach: eine Nachricht.
Die Bäuerin schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich euch anbieten soll.“
S. sieht mich betreten an. Es war schon vor drei Wochen schwierig, ein Zimmer zu finden, jetzt wird es unmöglich sein. Ich drehe mich zum Auto. Hätten wir doch den Kombi genommen, denke ich, der wär in der Nacht bequemer.
Doch dann sagt die Bäuerin: „Stop.“ Ob uns abgelegene Orte etwas ausmachen?
Mir macht zu dem Zeitpunkt nichts aus, das besser als ein Autositz ist.
Sie hätte etwas für uns, allerdings nur für zwei Nächte. Eine kleine Selbstversorgerhütte, die Bedienerin hat sie heute schon gereinigt.
Wir nicken begeistert und haben dann Mühe ihr in ihrem schwarzen Audi Q3 Über die Forststraßen zu folgen, Steilstraßen hinauf, über Tiergitter, in schottrige Abzweigungen, ins Tal hinein – bis sie umgeben von einer Schafherde vor dem niedlichsten Berghäuschen Halt macht.
Schlussendlich war der Buchungsfehler vielleicht doch für etwas gut.
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„I’m sorry,“ she says, and the sentence after that I can’t believe. It must be a misunderstanding, it’s all bound to come right off, I think. But her expression doesn’t change. „I really don’t know what to offer you,“ she says, then.
Ten hours earlier.
„Are you finally done?“ asks S. after I’ve said for the fifth time that we have to get going, only to dash up the stairs once more because I’ve thought of something else to bring along.
S. has been sitting on the couch for twenty minutes, fully dressed.
But now I’m really ready too, so we pack the suitcases and bags that would be enough for a fortnight‘ holiday into my car.
„Got the postal code from the guesthouse?“
„Yep.“
Off to Wales then.
Five and a half hours says the sat nav, which never takes traffic into account.
At first, it’s speedy, the M3 towards London, then the M4 west and I figure, because I don’t learn from experience, that we’ll be there by early afternoon.
After about two and a half hours, the big supports come into view: the massive Prince of Wales Bridge over the River Severn, which separates England and Wales in the south.
Before that there was a tunnel, we are informed ina small museum in Sudbrook, that consisted of 76 million bricks . I can’t really imagine anything under that number.
Although England has already seemed so green to me, the nature around us becomes greener, gentler, lusher. The roads become narrower and more winding, the villages cuter.
By now I feel like I’ve been on the road for three days, but according to the sat nav it’s still almost three hours.
We stop in the next village and have a coffee break. I find a bakery that offers „German Bread“ and for a moment the shop assistant must have thought I was crazy, so great was my joy.
Brick, S. calls real bread, and I would love to buy 76 million pieces of it.
We go back to the car, which by now is an oven, and I can hardly believe that the sat nav still shows just under three hours.
The roads are now so winding that I almost feel sick even in the driver’s seat, and every few bends the scenery is so beautiful that we have to stop again. Until we come to a diversion that adds half an hour to our journey and we decide not to stop, because otherwise it soon won’t pay to get to the guesthouse.
I’m annoyed that I didn’t make fewer stops before, because the nature is still getting more beautiful. But at least the arrival time finally goes down a little.
The sun too.
The landscape becomes more and more sparsely populated.
My stomach starts to growl, fighting with the fear of not arriving in time to check in at the guesthouse. Fear wins, but promises the growling stomach to keep an eye out for a suitable restaurant and to visit it immediately after checking into the room.
We drive through the last larger village before our destination, cross the bridge, drive a little too far, have to turn around, recognise the narrow turn-off and rattle along the gravel path to the farmhouse.
Quarter to eight, perfect timing.
Hungry, we stagger out of the car, ring the bell.
The elderly farmer’s wife who opens the door for us frowns.
„I’m sorry,“ she says, „but we’ve been fully booked for weeks. I sent an email saying there was nothing available, didn’t I?“
Panic, heart racing, lightness in my head.
I dig out my mobile phone, find only the booking confirmation from the booking platform – but then, I see it, unopened, hidden amongst an avalanche of messages, her mail.
The farmer looks uncomfortable, you can see it working in her head. „I don’t know what to offer you.“
S. looks at me in dismay. It was already difficult to find another room three weeks ago. I turn to the car. We should have taken the station wagon, I think, it would be more comfortable to sleep in.
And then she says „Stop.“ Do we mind remote places?
I don’t mind anything better than a car seat at that point.
She has something for us, but only for two nights. A self-catering cottage, the cleaning lady has already cleaned it today.
We nod enthusiastically and then have trouble following her in her black Audi Q3 across the forest roads, up steep tracks, over animal grids, into gravelly junctions, into the valley – until she stops, surrounded by a flock of sheep, in front of the cutest little mountain cottage.
Maybe the booking error was good for something after all.
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