Die langwierige Suche nach dem blauen Teppich

+++ English Version below +++

Vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich seit meinem Umzug ins Vereinigte Königreich, mehr Zeit in der Natur verbringe, aber in England scheinen Blumen in monokutureller Fülle zu kommen. Sobald der Winter verblasst, zieht sich ein gelber Läufer aus Märzenbechern durch die sonst kargen Parks,  später sind es Felder voll Sonnenblumen und Lavendel – und aktuell – und irgendwie am magischsten: der Blauglockenteppich in den Wäldern. 

Während ich bei meinen Spaziergängen hauptsächlich auf kleinere Grüppchen stoße, scheint es, so erzählt es mir das Soziale Netzwerk, ein paar Flecken zu geben, in denen die Blauglocken bis zum Horizont fließen. Vergangenes Jahr kam diese Information als die Saison fast schon  vorbei war, deshalb der Vorsatz, definitiv im nächsten Jahr einen Ausflug an einen solchen Ort einzuplanen. Weil ein Jahr aber sehr lang ist, hatte ich das natürlich vergessen, bis mich nun wieder eine Flut aus Blauglöckchenfotos erreicht. 

Navi voraus

Weil die Blauglöckchen im Garten schon fast verblüht sind, keimt die Sorge auf, dass ein Besuch am nächsten Wochenende zu spät ist. Hilft nichts, dann muss ich einen Abstecher am Nachhauseweg machen. Zum Glück liegt ein Wald zwischen Schule und Haus. Auf zum Micheldever Forest. Das Navi zeigt den Weg. 

Als das Navi von der Autobahn lenkt, überlege ich, wie albern es ist, einen Spaziergang lediglich wegen eines Fotos zu machen. Während ich über die Landstraße sause, hoffe ich, dass das Feld nicht zu weit vom Parkplatz weg sein wird. Wie werde ich es denn überhaupt finden? Es wird ja wohl kaum ein Schilder den Werg weisen. Das ist ja alles Unsinn. Soll ich umdrehen?

Navi sagt noch 2 Minuten, also fahre ich fort. Gleich sollte eine Abzweigung kommen. Ich drossle die Geschwindigkeit, um den Parkplatz rechtzeitig zu sehen. Links und rechts ist Wald, das ist schon mal gu… Oh, wow! Zumindest die Sorge des Findens war unbegründet gewesen. Mit einem Mal, strahlt linker Hand eine tiefblau-violette Farbe vom Waldboden entgegen. So weit das Auge reicht, schimmern die Blauglocken durch die Farne, Gräser und zwischen Bäumen hervor. Tausende blaue Blumenköpfe wippen im Frühlingswind und glänzen, wo die Nachmittagssonne durch das Dickicht lugt. Ich muss mich zwingen, nach vorne zu sehen und keinen Unfall zu verursachen. 

Parken verboten

So, wo bleibe ich stehen? Das Navi sagt, bitte links. Aber da ist nur eine Einfahrt, auf der ein Schild “NO PRIVATE PARKING” erlaubt. Gleich danach, eine Farm, an dessen Einfahrt das gleiche Schild. Haben Fotografiefokussierte in der Vergangenheit für Staus gesorgt?

Das Auto saust immer noch mit knapp 60 Meilen die Stund über die Landstraße, das blaue Feld rückt immer weiter weg. Das ist nun schon ein schönes Stückchen, das ich gehen muss. Wie haben das die anderen gemacht? Das gibt es doch nicht, dass man hier nicht stehenbleiben kann..

Ha! Eine Weggabelung mit einem kleinen Schotterplatz, ohne jegliches Schild. Ich parke mich ein, springe hinaus. Zögere kurz, ob ich das neue Auto auch hier allein lassen kann. Vielleicht ist die Wut auf alle Hobbyfotograf:innen so groß, dass alle willkürlich geparkten Autos zerkratzt werden. Ich kann den verärgerten Anrainer fast schon sehen. Aber der Drang, das Foto zu machen ist größer. 

Der Pfad entlang der Landstraße ist zu schmal, die Brombeerstauden und Brennnessel haben ihn überwuchert. Die Dornen zerkratzen meine Söckchen, die Nesseln verbrennen meinen Fußrücken. Aber umdrehen ist keine Option, also beginne ich wie ein Reh zu hüpfen, um den Boden nur möglichst kurz zu berühren. 

Rehhüpfen

Der Pfad ist auch zu nah an den Autos und mit jedem Vorbeilassendem zieht der Fahrtwind an mir. Manche Autos hupen, ich weiß nicht, ob sie meine Fortbewegung so amüsant finden oder mich zu nahe an der Fahrbahn. Der Wald kommt näher. Meine Füße pulsieren vor Schmerz. Da ist es! Blick nach rechts, dann nach links, die Straße überquert. Natürlich gibt es keinen Weg in den Wald. Vorsichtig taste ich mich im Dickicht vorwärts, um mit den Ballerinas nicht einzuknicken, oder auf eine Schlange zu steigen, die ich im Blätterdickicht nicht erkennen würde.

Und dann –  endlich!  – stehe auch ich inmitten eines Blauglockenfelds. Ich atme tief ein, drehe mich beeindruckt im Kreis, sauge die ungewöhnlichen Farben ein, mache ein paar Dutzend Fotos, drehe mich noch einmal im Kreis. Aber ohne Waldweg und mit der Sorge, das Auto nicht zu lange alleine zu lassen, gibt es hier nichts mehr zu tun. Also hüpfe ich schon wieder durch den Dornen-Nessel-Pfad zurück zum Auto. Eine halbe Stunde Schmerz für zehn Fotos. Eindeutig keine verschobenen Prioritäten. 

+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

The protracted search for the blue carpet 

Enthusiasm comes in masses.

Maybe it’s just because since moving to the UK, I’ve been spending more time in nature, but in England, flowers seem to arrive in monocultural profusion. As soon as winter fades, a yellow runner of daffofils stretches through the otherwise barren parks, later it’s fields full of sunflowers and lavender – and currently – and somehow most magically: the carpet of bluebells in the woods. 

While I mainly come across small groups on my walks, there seem to be a few spots, as the social network tells me, where the bluebells flow all the way to the horizon. Last year, this information came when the season was almost over, hence the resolution to definitely plan a trip to such a place next year. But because a year is very long, I had of course forgotten about it, until now a flood of bluebell photos reached me again. 

Because the bluebells in the garden have almost faded, I worry that a visit next weekend will be too late. Thus, I have to make make a detour on the way home. Luckily, there is a forest between the school and the house. Off to Micheldever Forest. The sat nav shows the way. 

Turn around

As the sat nav steers off the motorway, I think how silly it is to take a walk just for a photo. As I whiz along the country road, I hope the field won’t be too far from the car park. How am I going to find it anyway? There will hardly be signs pointing the way. This is all nonsense. Should I turn back?

Sat nav says another 2 minutes, so I continue. There should be a turn-off soon. I slow down to see the car park in time. There’s forest to the left and right, so that’s good… Oh, wow! At least the worry of finding it had been unfounded. All of a sudden, a deep blue-violet colour shines from the forest floor to the left. As far as the eye can see, bluebells shimmer out through the ferns, grasses and between trees. Thousands of blue flower heads bob in the spring breeze and glisten where the afternoon sun peeks through the thicket. I have to force myself to look ahead and not cause an accident. 

Parking impossible

So where do I stop? The sat nav says, please turn left. But there is only one driveway with a sign saying „NO PRIVATE PARKING“. Just beyond, a farm, with the same sign at its entrance. Have photography-focused people caused traffic jams in the past?

The car is still whizzing along the country road at just under 60 miles an hour, the blue field moving further and further away. That’s quite a bit of walking now. How did the others do it? I can’t believe it’s impossible to stop here.

Ha! A fork in the road with a small gravelled area, without any sign. I park myself, jump out. I hesitate briefly whether I can leave the new car here alone too. Perhaps the anger at all amateur photographers is so great that all the randomly parked cars are scratched. I can almost see the angry neighbour. But the urge to take the photo is greater. 

The path along the country road is too narrow, the brambles and nettles have overgrown it. The thorns scratch my socks, the nettles burn the back of my foot. But turning around is not an option, so I start hopping like a deer to touch the ground only as briefly as possible. 

Deer Hopping

The path is also too close to the cars and with each passing car the wind pulls at me. Some cars honk, I don’t know if they find my locomotion so amusing or me too close to the roadway. The forest comes closer. My feet pulse with pain. There it is! Look to the right, then to the left, crossing the road. Of course there is no way into the forest. Carefully I grope my way forward in the thicket, so as not to buckle in my ballerinas or step on a snake I wouldn’t recognise in the leafy thicket.

And then – finally!  – I too stand in the middle of a field of bluebells. I take a deep breath, turn in circles in awe, soak up the unusual colours, take a few dozen photos, turn in circles once more. But without a forest path and with the worry of not leaving the car alone for too long, there’s nothing more to do here. So I’m already hopping back through the thorny nettle path to the car. Half an hour of pain for ten photos. Clearly no shifted priorities. 

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert