Wieso man in England manchmal ansteht
+++ English Version below +++
Wenn man in England fährt, bis man nicht mehr kann, weil dann das Meer anfängt, ist man immer noch im selben Land. Macht es ein Land besonders schrullig, wenn es nicht nur durch Kultur und Sprache, sondern auch durch Wasser von allen anderen getrennt ist? Oder kommt die nostalgische Liebe der Engländer:innen zum Kleinen, Schmalen und Provisorischem lediglich aus der Not des Platzmangels?
Es fällt jedenfalls auf: Die vielen schmalen Häuser mit engen, steilen Treppen, in denen man kaum den dicken Koffer hinaufziehen kann; dünnste Passagen, die zwischen Hausfronten führen; ein Public Footpath mitten durch eine Pferdekoppel.
Oder auch: Die einspurige Steinbrücke am Heimweg, die täglich lange Schlangen auslöst, weil man entweder drei Autos oder die Ampel abwarten muss. Aber so schnell das Blut beim Anblick der langen Blechschlange und dem Ärger dass man in England zu sehr auf das Auto angewiesen ist, steigt: Sobald man endlich an der Reihe ist und die gewundene Straße mit Blick auf den Fluss passiert, ist man doch ergriffen.
Einfach rollen
Und dann, ein besonders Highlight, aber dazu muss ein wenig ausgeholt werden. Anlass war die Radtour am Wochenende, nachdem endlich das Citybike erworben wurde. (Wieder einmal hat sich Liebhaberei gegen Vernunft durchgesetzt; im konkreten Fall: Aussehen gehen minimale Gänge und nicht vorhandene Federung).
Auf den vielen flachen Straßen fährt das Stadtrad dennoch fröhlich der Sonne entgegen. Entlang an endlosen Reihenhausreihen rollen wir nach Süden. Vorbei an der Mittelalterabtei, auf der Familien zum Picknicken gekommen sind und an dem Fisch-&-Chips-Shop mit den fettigen Pommes, die wir doch immer wieder kaufen, weil es die perfekte Entfernung hat, um sie am Strand zu essen. (Wenn auch: Kiesstrand.)
Weiter durch den Victoria Park, in dem während dem ersten Weltkrieg die verletzten Soldaten angekommen und versorgt worden sind. Eine Atmosphäre, die immer noch spürbar ist und jedes Mal Gänsehaut verursacht. Oder sind es bloß die vielen Geistergeschichten, die sich hier erzählt werden?
Eigentlich ist der Victoria Park nicht groß, aber weil die Wege so verwinkelt sind und wir Google Maps folgen (eine Gewohnheit, die mir noch teuer zustehen kommen wird, aber dazu das nächste Mal) und dieses im Dickicht ständige die Verbindung verliert, drehen wir uns 27 Mal im Kreis. Als wir endlich herausfinden, kommt mir das Zuhause eine Ewigkeit weg vor und unser Plan für den Tag unmöglich.
Abwärts
Wir fahren weiter durch idyllische Vororte mit gepflegten Gärten und Fahnen am Dach. So stolz ist nur England.
Wir kommen an einen kleinen Ortskern mit goldener Postbox, um die ansässige Olympiameisterin im Radfahren zu ehren. Das Navi sagt rechts und wir fallen eine schmale Gasse mit Pubs, Cafés und Kopfsteinpflaster steil bergab.
Und dann stehen wir an.
Sprichwörtlich.
Vor uns glitzert der River Hamble, eine Herde Yachten schaukelt im klaren Wasser und der Weg, der geradeaus gehen sollte, geht eindeutig nicht weiter.
Erneuter Blick aufs Navi. Das zeigt ganz eindeutig geradeaus.
Vielleicht gab es eine Brücke, die abgetragen wurde?
Vielleicht ein Programmierfehler?
Sollen wir einfach umkehren?
Und dann sehen wir sie. Quietschpink und leicht rostig kommt sie auf uns zu. Die kleine Passagierfähre. 2 Pfund für die Überfahrt, 50 Cent extra für Hund oder Fahrrad.
Der Fährmann sieht aus wie Kapitän Iglu und ist so lange grimmig schweigsam bis man ihn anspricht; dann plätschert es aus ihm, dass er seit 30 Jahren hier arbeitet und, ergänzt er stolz, dass die Fähre schon 500 Jahre existiere.
In einem Land, in dem das Rad, die Dampflok erfunden wurde und der erste Flug stattgefunden hat, fährt also täglich zwischen 10 und 16 Uhr ein zuckerlfarbiges Miniboot, um Passanten auf dem altmodischsten und vielleicht besten Weg über einen Fluss zu führen. Zum Anhalten gezwungen muss man warten, schauen, sich treiben lassen..
Wie ein Windhund stecke ich die Nase in den Fahrtwind und finde man sollte Flüsse nur noch so überqueren. Vielleicht werde ich auch schon schrullig.
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Why you sometimes can’t get through in England
If you drive in England until you can’t anymore because that’s when the sea starts, you’re still in the same country. Does it make a country particularly quirky if it is separated from all others not only by culture and language, but also by water? Or does the English love of the small, the narrow or even the provisional come merely from necessity due to lack of space?
In any case, it is striking: The many narrow houses with narrow, steep staircases where you can hardly pull up your thick suitcase; the thinnest passages leading between house fronts; a Public Footpath right through the middle of a horse paddock.
Or even: the one-lane stone bridge on the way home, which causes long queues every day because you either have to wait for three cars or the traffic lights. But as quickly as the blood rises at the sight of the long queue of cars and the annoyance that one is too dependent on the car in England: as soon as it is finally your turn and you pass the winding road with a view of the river, you are nevertheless moved.
Just keep rolling
And then, a particular highlight, but this requires a little elaboration. The occasion was the bike tour at the weekend, after finally acquiring the city bike. (Once again, fanciness has prevailed over reason; in this specific case: looks go minimal gears and non-existent suspension).
On the many flat streets, the city bike nevertheless rides merrily towards the sun. Along endless rows of terraced houses we roll southwards. Past the medieval abbey where families have come to picnic and the fish & chips shop with the greasy chips, which we buy nevertheless because it is the perfect distance to eat them on the beach. (Albeit: pebble beach.)
We continue through Victoria Park, where injured soldiers arrived and were cared for during the First World War. An atmosphere that is still palpable and gives you goosebumps every time. Or is it just the many ghost stories that are told about this place?
Victoria Park isn’t actually very big, but because the paths are so winding and we follow Google Maps (a habit that will cost me dearly, but I’ll get to that next time) and it constantly loses its connection in the thicket, we go round in circles 27 times. When we finally find our way out, home seems an eternity away and our plan for the day impossible.
We continue through idyllic suburbs with manicured gardens and flags on the roof. Only England is that proud.
Falling downhill
We come to a small town centre with a golden post box to honour the local Olympic cycling champion. The sat nav says right and we drop down a narrow lane with pubs, cafés and cobbles steeply downhill.
And then we can’t get through.
Literally.
The River Hamble glistens in front of us, a flock of yachts bobs in the clear water and the path that should go straight ahead clearly goes no further.
Another look at the sat nav. It clearly points straight ahead.
Maybe there was a bridge that was taken down?
Maybe a programming error?
Should we just turn back?
And then we see it. Squeaky pink and slightly rusty, she comes towards us. The little passenger ferry. 2 pounds for the crossing, 50 cents extra for dog or bicycle.
The ferryman os grimly silent until we speak to him; then he blurts out that he has worked here for 30 years and, he adds proudly, that the ferry has been in existence for 500 years.
So, in a country where the wheel was invented, the steam locomotive was invented and the first flight took place, a sugar-coated mini-boat sails daily between 10 a.m. and 4 p.m. to take passers-by across a river in the most old-fashioned and perhaps best way. Forced to stop, you have to wait, look, drift….
Like a greyhound, I stick my nose into the wind and think that rivers should only be crossed this way. Maybe I’m already getting quirky.