Ausbruch aus der Vorsichtigkeit
Ich würde mich ja eher als vorsichtigen Menschen einschätzen.
Auf einer Skala von 1 bis 10 – auf der 1: „Ich mache beim Spurwechsel immer den 3-S Blick“ und 10: „Ich mache einen Köpfler in ein unbekanntes Gewässer“ ist – siedle ich mich so bei Minus 2 an.
(Möglicherweise ist meine Gesinnung schon an meiner personalisierten Skala erkennbar. Mitunter ist “Ein Köpfler in ein unbekanntes Gewässer”-Machen nicht das, was auf so einer Skala bei Nummer 10 stehen sollte.)
Ich bin jedenfalls ein bisschen von mir selbst überrascht, als ich die Vespa am Heldenplatz ziemlich sicher auf einem Platz abstelle, auf dem sie nicht stehen darf. Vorsichtshalber schaue ich nicht so genau hin, als würde es dann weniger verboten sein. Und verstaue den Helm im Sitz.
Ich bin ja gleich wieder da. Muss mir von einer Freundin, die gerade in der Nationalbibliothek für ihren Phd lernt, bloß eine CD holen, die ich für ein Interview benötige.
Der Parkplatz vor der Nationalbibliothek ist abgesperrt. Der nächste reguläre Parkplatz ist gefühlte Jahre weit weg. Entweder irgendwo beim Justizpalast oder beim Hochhaus in der Herrengasse. Das geht sich alles nicht aus. Ich muss mich beeilen, ich habe gleich einen Termin.
Gegen die Zeit
Ich haste also los.
Drehe mich noch einmal um und bilde mir ein, dass die Person, die neben meiner Vespa aus dem Auto steigt, diese irritiert mustert. Ich gehe sicherheitshalber etwas schneller.
Der Weg über den Parkplatz kommt mir ewig vor. Imposante historische Gebäude gebe einem stets ein falsches Gefühl von Nähe und Entfernung.
Bei der Freundin angekommen, vergesse ich für eine Sekunde meine Eile und wir tratschen ein bisschen. Als es mir wieder einfällt, verabschiede ich mich hastig. Aber was soll denn in der Zeit passiert sein?
Da wird doch nach fünf Minuten nicht wirklich ein Polizist bei meiner Vespa stehen und mich aufschreiben.
Nein, ein Polizist steht dann eh nicht neben meiner Vespa, als ich aus der Nationalbibliothek komme.
Es sind zwei.
Sie umrunden das Gefährt.
Ich beginne zu sprinten.
Der eine greift sich in die hintere Hosentasche.
Ich laufe schneller.
Er nimmt etwas heraus; bestimmt den Block mit den Strafzetteln.
Ich laufe noch etwas schneller.
Kontrolliert
„tschuldigung, tschuldigung, ich bin schon da“, rufe ich außer Atem, krame in der Tasche nach dem Schlüssel, um den Helm aus dem Sitz zu holen.
„Na, aber junge Frau so geht das nicht…“, sagt der eine Polizist.
„Es tut mir leid, es tut mir leid!“
„Wissen Sie nicht, wo Sie hier stehen?“
„Es tut mir leid, ich habe wohl nicht gescheit geschaut.“ (Dieser Satz ist ja nicht einmal gelogen.)
„Das hier ist der Parkplatz der O. S. Z. E“, fährt der eine Polizist fort.
„Oh, das wusste ich nicht…“
„Die Autos, die hier stehen, benötigen eine Genehmigung. Wie sollen wir wissen, ob da nicht vielleicht eine Bombe unter Ihrem Sitz ist.“
(Das ist jetzt dann wohl der falsche Moment für einen „Bumm!“-Laut beim Öffnen des Sitzes, ich lasse es also lieber.)
Ich entschuldige mich noch fünfhundert und ein Mal und wie durch ein Wunder steckt der Polizist seinen Block wieder ein.
Ich brause los, bevor er es sich anders überlegt.
Oder bevor er sich mein Kennzeichen noch schnell aufschreibt.
Davongekommen
Während mir der Fahrtwind um die Wangen streicht, schießt mir ein bis dato unbekanntes Glücksgefühl durch den Körper.
So fühlt es sich also an, wenn man sich erfolgreich aus einer Situation manövriert hat. Wenn man gerade noch einer Strafe entgangen ist.
Toll.
Herrlich.
Ich fühle mich stark.
Unbesiegbar.
Vielleicht werde ich jetzt zur Vagabundin.
Zur Systembrecherin.
Zur Rebellin.
Unnnd: Blitz, blitz, blitz, blitz.
Blick auf den Tacho: 68 km/h.
Verdammt.
Und schon bin ich auf meiner Vorsichtigkeitsskala zurück bei Minus 3.
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