Der lange Weg nach Hause
Neuseeland ist theoretisch immer am anderen Ende der Welt. Wenn man sich dort aufhält, wenn eine globale Pandemie ausbricht, fühlt es sich auch so an.
Als in Österreich die ersten Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus bekannt gegeben werden, befand ich mich in Napier, ein süßes Städtchen auf der Nordinsel Neuseelands und Welthauptstadt des Art Deco. (Weil nach einem massiven Erdbeben in den 1930ern ein Großteil der Stadt in diesem Stil wieder aufgebaut worden ist.)
Ich habe keine Augen für die schönen Gebäude. Ich verbringe den Großteil des Tages mit Telefonieren. Eltern, Freunde, Botschaft.
Gedankenkarussell
Im ersten Moment ist da die Überlegung, weiter in Neuseeland auszuharren. Zu dem Zeitpunkt gibt es in Neuseeland fünf Fälle und mein Plan war es ja, erst Ende Juli nach Österreich zurückzukehren. Das wäre doch erst in vier Monaten.
Ich gehe an den Strand. (Ich versuche zu dem Zeitpunkt nur mehr Ausflüge zu machen, bei denen ich keine Menschen treffe.) Der fast schwarze Kiesstrand und das unnatürlich türkise Meer (wegen des sehr hohen Salzgehalts) ergeben so ein schönes Bild, dass ich für eine Millisekunde überzeugt bin, dass der Virus-Wahnsinn nicht wahr ist.
Dieses Gefühl verschwindet in dem Moment, in dem ich “Austria + Virus” und “New Zealand + Virus” google (und ich google es stündlich, okay das stimmt nicht: halbstündlich). Und mir wird klar, dass ich nicht hier ausharren will. Da kann das Meer noch so türkis sein und die Sonne noch so sehr strahlen. Ich möchte nach Hause.
Jetzt – oder lange nicht
Ein weiteres Telefonat mit dem Konsul macht klar: Wenn ich zurück möchte, muss ich mich beeilen. Die Flughäfen würden langsam schließen, und ich sei ja auf die Transitflughäfen in Asien angewiesen. Also: Action Mode.
Gut, dass Napier eh nur zehneinhalb Busstunden von Auckland entfernt ist, Neuseelands größter Stadt und damit Ort mit den meisten Flugverbindungen. Ich nehme zunächst den Bus nach Tauranga, wieder ein süßer Ort, der für seine Strände berühmt ist. Aber ich sehe keinen Strand – vor allem, weil es dunkel ist, als ich ankomme und noch fast dunkel sein wird, wenn ich am nächsten Tag den Bus Richtung Auckland besteige.
Ich rufe die Notfallnummer meines Reisebüros an (weil 12 Stunden Zeitunterschied und die ReisebüromitarbeiterInnen alle noch schlafen). Idealerweise ist die Notfallnummer eine englische und ich rufe mit meinem österreichischen Handy aus Neuseeland an. Ich rechne mit drei Euro pro Minute. Hoffentlich dauert das Gespräch nicht zu lange, das kann teuer werden. Aber eigentlich ist es auch egal.
177 Euro für kein Gespräch
Zu Beginn des Telefonats bin ich Anrufer Nummer 28. Als ich nach etwas mehr als einer Stunde aus der Leitung geschmissen werden, war ich immerhin Anrufer Nummer 13. Als ich es noch einmal probiere, komme ich nicht mehr durch. Aber vielleicht sind 177 Euro Telefonkosten auch genug für einen Tag.
Es wird langsam Abend, in Österreich also langsam morgen. Mein lieber Papa sagt, er wird es im Reisebüro probieren. Ich erwarte mir nicht zu viel und als er mich eine halbe Stunde später anruft und sagt, ich hätte einen Flug für den 19. März, muss ich weinen.
Noch drei Tage.
Ich bin so erleichtert, dass ich mich nicht darüber ärgere, dass ich im letzten Hostel in der Aufregung Duschgel, Shampoo und Rasierer vergessen habe. Die Kacke ist wohl am Dampfen, wenn unrasierte Beine egal sind.
Brillenlos
Das mit dem Vergessen wird zum Thema. In Auckland erkenne ich, dass ich im letzten Ort meine Brille vergessen habe. Der Zimmerkollege, der mich ja nur für ein paar Stunden gesehen hat, findet sie beim Waschbecken und bringt sie zur Rezeption. Ich bin gerührt. „Kein Problem“, schreibt er auf Facebook. „Wir müssen uns jetzt alle unterstützen.“
In Auckland, wo bereits einige Menschen mit Masken durch die Stadt gehen, werden Erinnerungen an Singapur wach. Ich erinnere mich, dass ich die intensiven Reinigungsmaßnahmen damals ein kleines bisschen übertrieben gefunden habe. Ich entschuldige mich im Geiste bei Singapur. Aber es war wohl auch ein Selbstschutz. Worüber man sich lustig macht, davor kann man sich nicht fürchten.
Noch zwei Tage.
Verbunden in der Abgrenzung
Ich greife Dinge im Hotel nur mehr mit einem Reinigungstuch an und desinfiziere gefühlt jede Minute meine Hände. Meine Chemielehrerin fällt mir ein, die Türschnallen in der Schule nur mit dem Plastiksackerl angegriffen hat. Wir haben uns oft über sie lustig gemacht. Auch bei ihr entschuldige ich mich im Geiste.
Einmal, als ich auf die Toilette gehe, kommt mir eine Frau entgegen. Sie öffnet die Tür mit einem Taschentuch. Ihr Blick fällt auf das Reinigungstuch in meiner Hand. Wir lächeln einander an. Absurd, was alles verbinden kann.
Noch ein Tag.
Auch im Flugzeug herrscht eine surreale Verbundenheit. Vor allem beim zweiten Flug von Bangkok nach Wien: Ein Flugzeug voll mit österreichischen Urlaubern, die eine der letzten Möglichkeiten nutzen, nach Hause zu kommen. Fast alle tragen Masken.
Auf der Rollbahn in Schwechat begrüßt uns eine Flotte unbenutzter Austrian Airlines Flugzeuge. Es ist gespenstisch leer. Bis auf die Schlange vor der Einreise. Der Gang ist dicht gedrängt.
Alle zwei Minuten schallt die Ansage durch die Lautsprecher, dass wir Abstand halten sollen. Der ganze Gang lacht. Es ist kein schönes Lachen.
Die Freundin, die mich abholt trägt Maske und Handschuhe. Wir winken einander aus zwei Meter Entfernung zu, ich nehme am Rücksitz Platz und greife nichts an. Ich bin ab sofort 14 Tage in Quarantäne. Meine Eltern gehen für mich Einkaufen und stellen die Einkäufe vor die Tür. Ich winke ihnen vom Fenster aus zu; sie stehen auf der anderen Straßenseite.
Ich bin unruhig. Aber ich war noch nie so erleichtert, zu Hause zu sein.
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