Meer bei Aufregung
Die Aufregung ist ein Hund.
Und in Zeiten großer Turbulenzen wird sie zum Welpen, der überdreht herumhüpft und einen von Dingen abhält, die man in dem Moment eigentlich tun möchte. Etwa: Zur Ruhe kommen.
Diesmal hüpft der Welpe seit Neujahrstag. Wegen der Zehn-Monats-Auszeit; ich habe vergessen, wie ungewohnt das Leben ohne das stützende Korsett des Alltags ist.
Leichte Entspannung kommt, als ich ins Flugzeug Richtung England steige. Weil die Aufregung immer nachlässt, wenn man sich in Bewegung setzt.
Die Frage, ob zwei Wochen England im Winter eigentlich eine gute Idee sind, beantwortet mein Körper, als der British Airways Pilot die Passagiere mit den Worten “I will be flying you back home today” begrüßt und ich vor Rührung ein bisschen weinen muss.
England ist immer eine gute Idee.
Gleich und doch anders
Mir fällt ein, dass ich an den gleichen Ort fahre, an dem ich auch bei meiner Erasmus-Reise vor zehn Jahren meine erste Nacht in England verbracht habe: Southampton, Hafenstadt im Süden der Insel. Einwohnermässig in etwa die Größe von Graz; jener Ort, an dem Jane Austen ihren Roman „Sense and Sensibility“ geschrieben hat, und die Titanic am 2. April 1912 offiziell ausgelaufen ist. (Streng genommen hat sie ihre Reise in Belfast angetreten hat, weil sie dort gebaut wurde.)
Vor zehn Jahren war das Übernachten in Southampton reiner Zufall, diesmal kenne ich einen lieben Menschen, der mir Unterschlupf und ein bisschen Ruhe bietet. Lustig, wie sich das Leben wiederholt und dabei ganz anders ist.
Die drei Phasen
Die Ruhe kommt nicht sofort. Dem Körper kann man ja nichts vormachen. Er weiß, dass es keine normale Zwei-Wochen-in-England-und-dann-zurück-in-die-Routine-Reise ist; er weiß, dass das Korsett für länger weg ist. Genauso wie er in der Studienzeit gleich nach dem Aufwachen wusste, wenn eine Prüfung anstand, auch wenn ich verzweifelt versucht habe, nicht daran zu denken.
Ich versuche den Aufregungswelpen mit dem Gedanken zu beruhigen, dass die Gewöhnung an etwas Neues immer in Phasen abläuft, wie beim Wechsel auf den Linksverkehr.
In Phase 1 denke ich beim Überqueren der englischen Straßen immer: Die Autos kommen von der Seite, die ich nicht gewohnt bin (also von rechts).
In Phase 2 bin ich mir unsicher, welche Seite mir ungewohnt vorkommt, weil ich schon einige Male nach rechts geschaut habe. Ich drehe mich gedanklich einmal zu viel, will nach links schauen, erkenne, dass das falsch ist und drehe den Kopf schnell nach rechts.
Erst in Phase 3 ist mir die neue Richtung so vertraut, dass ich sie automatisch als erste einschlage.
Möwenkreischen, Wellenrauschen
Am Wochenende schlagen wir den Weg Richtung Meer ein. Lulworth Cove ist eine liebliche Bucht und Startpunkt einer Klippenwanderung über Militärgebiet.
Wir steigen aus dem Auto und da ist es: Meeresrauschen, Möwenkreischen, Kiesstrandknirschen.
Wir steigen zu den Klippen hinauf, der Weg ist ein bisschen anstrengender, als ich dachte und die Sonne strahlt etwas heißer, als man es im englischen Jänner vermuten würde.
Ich blicke aufs Meer. Und der Aufregungswelpe setzt sich zum ersten Mal in diesem Jahr hin.
Vielleicht gibt es nicht nur das Korsett des Alltags, das Halt geben kann.
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