+++ English Version below +++
Wann genau ändert man sich eigentlich? Also nicht, aus welchen Anlässen. Sondern in welchen konkreten Momenten. Selbst wenn es eine graduelle Änderung ist, und davon ist in den meisten Fällen auszugehen, muss von dem ein auf den anderen Augenblick etwas anders sein. Und so muss es streng genommen Augenblicke geben, vor denen man zu einer bestimmten Sache ja und nach denen man nein sagen würde. Und wie sehr kann man das steuern oder ist das, wenn der Prozess einmal eingeleitet hat, ein automatisches Prozedere?
Mentales Wachsen lässt sich als Laiin also ungefähr so gut Beobachten wie das tägliche Wachsen von Haaren. Von einem Tag auf den nächsten sieht man jedenfalls mit dem bloßen Auge keinen Unterschied aber dann ist aus einem Bob auf einmal ein Langhaarschnitt geworden.
Festtage zum Beobachten
Vielleicht haben wir Menschen auch deshalb jährliche Festtage eingeführt, um einander die Möglichkeit zu geben, die Veränderung innerhalb eines Jahres messen zu können. Das obligatorische Foto zum Feiertag zeigt, wie viele Augenringe, Falten und Gesichtshaare dazugekommen sind. Welches Kleidungsstück man in dem Jahr für stilvoll gehalten hat. Wer einem nah war und wer vielleicht noch da war. Denn Erinnerung ist zyklisch. Beim Geruch der Rumkugeln erinnert man sich auf einmal an Situationen vom vergangenen Christtag, die man vor zwei Monaten noch vergessen hatte.
Und so werden an diesem zweiten Weihnachten als Wahlengländerin erste Rituale und Verhaltensweisen sichtbar.
Erkenntnisgewinn
Erste Erfahrung – allerdings aus der Kategorie Verzichtbar: Gerne fange ich mir – wohl lehrerinnenbedingt – am ersten Weihnachtsferientag eine Erkältung ein.
Andere Erkenntnisse sind nicht nur subtiler, sondern auch angenehmer: Im Bus nach Heathrow fällt auf, dass ich meine Maske zu Hause vergessen habe. Zu Hause. Die Phrase klingt schräg in meinem Kopf, der schon an Schwechat, Stephansdom und Schwarzbrot denkt. Aber die Maske ist doch nicht in Wien, kommt der nächste Gedanke. Und doch, denkt ein anderer Teil hartnäckig, die Maske ist bei mir ZU HAUSE.
Zu Hause
Zu Hause. Das ist nun nicht mehr ein Land. Zu Hause ist der Blick auf den Magnolienbaum vor dem Fenster. Das neue Ankleidezimmer mit dem eigens lasierten Holzfußboden. Der Spaziergang am Meer. Oder S.s Schulterkuhle, auf die mein Kopf beim Fernsehen exakt passt. Aber zu Hause ist eben auch meine Eltern, die mich in Schwechat in die Arme schließen. Das vertraute Klicken der Eingangstür und der bekannte Geruch des Wohnraums. Und der Heilige Abend mit den liebevollen Geschichten zu jedem Geschenk.
Obwohl der Umzug bereit zwei Jahre zurückliegt, sind es diese langsam wandelnden Bilder, die anzeigen, dass man langsam wirklich ankommt. Und das mit dem Erobern eines neues Ortes, der alte nichts an Wichtigkeit verloren hat.
+++ English Version +++
What I realised at home
When exactly do you change? Not for what reasons, but at what specific moments. Even if it is a gradual change, which is to be assumed in most cases, something must be different from one moment to the next. And so, strictly speaking, there must be moments before which one would say yes to a certain thing and after which one would say no. And how much can one control this or is it an automatic procedure once the process has begun?
As a layperson, mental growth can be observed about as well as the daily growth of hair. From one day to the next, you can’t see any difference with the naked eye, but then a bob has suddenly become a long haircut.
Festivities for Observations
Maybe that’s why we humans have introduced annual holidays, to give each other the opportunity to measure the change within a year. The obligatory holiday photo shows how many eye rings, wrinkles and facial hairs have been added. Which piece of clothing you thought was stylish that year. Who was close to you and who might still have been there. Because memory is cyclical. At the smell of the rum balls, one suddenly remembers situations from the previous Christmas Day that one had forgotten two months ago.
And so, on this second Christmas as an elective Englishwoman, the first rituals and behaviours become visible.
Initial Observations
My first experience – falling in the abandonable category: I like to catch a cold on the first day of the Christmas holidays – probably due to being a teacher.
Other realisations are not only more subtle, but also more pleasant: on the bus to Heathrow, I notice that I forgot my mask at home. At home. The phrase sounds weird in my head, which is already thinking of Schwechat, St. Stephen’s Cathedral and brown bread. But the mask is not in Vienna, comes the next thought. And yet, another part of me thinks stubbornly, the mask is AT HOME with me.
At home
At home. That is no longer a country. At home is the bright bedroom with a view of the magnolia tree. The new dressing room with the specially glazed wooden floor. The walk by the sea. Or S.’s chest while watching TV, on which my head fits exactly. But home is also my parents, who embrace me in Schwechat. The familiar click of the front door and the familiar smell of the living room. And Christmas Eve with the loving stories about each present.
Although the move was already two years ago, it’s these changing pictures that indicate that you’re slowly really arriving. And that with the conquest of a new place, the old one has lost none of its importance.