Was Wildpferde anrichten

Das erste sehen wir auf dem kleinen Parkplatz, inmitten des New Forest, der hier eher eine Heidelandschaft ist. Es steht ganz knapp an den Motorhauben, furchtlos, ein PS neben vielen. Sein sattbraunes Fell glänzt fast so sehr wie die Motorhaube der silbernen Pkw. Die Mähne bäumt sich im Wind, ein bisschen wie die eines Löwen. Ein Hüter der Steppe, der darauf achtet darauf, dass die Autos ihren zugeteilten Bereich nicht verlassen.

Rund 5.000 Wildpferde gibt es im britischen Nationalpark New Forest, sie leben dort seit Beginn unserer Zeitrechnung. Ganz wild im eigentlichen Sinn sind sie nicht, sie haben Besitzer*innen und werden von den königlichen Forstmeistern betreut und regelmäßig auf ihren Gesundheitszustand untersucht. Aber sie sind frei insofern, als dass sie sich auf den 566 Quadratkilometer ungehindert bewegen können. Ohne Sattel, ohne Zaumzeug, ohne Zaun.

Und so sind sie nicht nur auf den Weiden und unter Bäumen, sondern auch zwischen den Häusern.

Englands berühmteste Hexe

Die nächsten begegnen uns dann bei der Einfahrt in das kleine Dorf, Burley, in dem sich ein Esoterik-Geschäft an das andere reiht, weil in den 1950ern hier Sybil Leek lebte. Englands berühmteste Hexe laut BBC. Mit schwarzem wehenden Mantel und Raben auf der Schulter habe man sie durchs Dorf schreiten sehen. Bis ihr die Aufmerksamkeit zu viel wurde, die Nachfrage, Hilfe zu leisten zu groß, und sie nach Amerika flüchtete.

Die Mistkübel im Burley sind pony-sicher, die Passanten werden gebeten, ihren Müll nicht mehr hineinzuwerfen, wenn der Behälter zu voll ist – weil die Pferde gerne ihre Köpfe hineinstecken und nichts erwischen sollen.

Die Wildpferde spazieren am Straßenrand, Gräser rupfend, ruhig, unbekümmert, ihr Ohren drehen sich zu uns, drehbare Abhörgeräte; aktive Aufmerksamkeit schenken sie uns kaum.

Das ist ungewohnt.

Endlich etwas im Weg

Tieren, denen man im Stadtgebiet begegnet, Hunde, Katzen, Ratten, schießen meist davon, wenn man sich ihnen nähert. Im Wald stieben die Rehe, die man in Größe und Art besser mit den Ponys vergleichen könnte, davon, wenn sie Äste am Boden knacksen hören. Kaum etwas stellt sich unserem sicheren Tritt in den Weg, zumindest nicht in Europa.

Bis zu diesem Pferdehintern. Mitten auf der Straße, den Schweif rhythmisch schlagend, die Autokolonne und Passanten um sich ignorierend, klappern die Hufe über den Asphalt; das Hallen eine Vorahnung der kräftigen Hinterbeine. Spiel dich nicht mit mir.

In der Sekunde ist da Respekt, Ehrfurcht, Rücksichtnahme. Man ist vorsichtiger, bedachter, im Beobachten, Abwägen; man agiert nicht sondern ist in der Reaktion. Gibt man mehr Acht oder nimmt man sich bloß in Acht? Vielleicht beides, ein natürlicher Kreislauf, wenn am sich nicht alles untertan macht.

Die Stadt gehört nicht nur euch, sagt das Pony mit dem peitschenden Schweif, und das wusste ich natürlich schon davor, aber offenbar benötigte ich eine Erinnerung in Pferdestärke, um es zu begreifen.

Es sollte mehr Dörfer mit Wildpferden  geben, ist der erste Gedanke. Und der zweite: Die Stadt muss natür-licher werden.