+++ English Version below +++
Im Nachhinein sieht man die Albernheit natürlich sofort.
„Oh, oh“, sagt die Panik, als sie erfährt, dass im englischen Gesundheitssystem Zahnärzte nicht wirklich gedeckt sind und dass es möglicherweise dauert, bis man einen Kassenplatz bekommt, der zumindest die Kosten etwas dämmt.
„Oh oh“, sagt also die Panik noch einmal und denkt sich in Rage: „Kannst du dich an die Bekannte erinnern, die als Au-Pair in Amerika mit Zahnschmerzen bekam und es im Endeffekt für sie günstiger war, nach Wien und retour zu fliegen, als in Amerika zum Zahnarzt zu gehen?“
„England ist nicht Amerika“, beruhigt die Vernunft.
„Aber es ist Nach-EU-England.“
„Trotzdem. Außerdem hast du gar keine Zahnschmerzen.“
„Aber ich könnte welche bekommen.“
„Wann hast du das letzte Mal akute Zahnschmerzen bekommen?“
„Vor fünfzehn Jahren, sieben Wochen und drei Tagen.“
„Ist es also wahrscheinlich, dass du bald welche bekommst?“
„Naja, wenn jede Person eine gewisse Anzahl an akuten Zahnschmerzen im Leben hat, dann ist es vielleicht nicht so beruhigend, wenn meine schon lange her sind.“
„So läuft es halt nicht.“
„Aber es ist nicht komplett unrealistisch, dass ich bald einen Zahnarzt benötige.“
„Lass uns doch dieses Thema doch besprechen, wenn es so weit ist. Seit der Zahnspange putzt du dir doch sowieso ständig die Zähne.“
„Jaaa, aber genau die Zahnspange könnte doch etwas auslösen, einen Nerv beleidigen, oder so… Jetzt wo du es sagst.“
„Ich habe gar nichts gesagt.“
„Jetzt wo du es sagst, da oben links, da habe ich seit einigen Tagen in der Früh etwas Schmerzen.“
„Blödsinn.“
„Neinnein, ganz wirklich. Ich schau mir das lieber im Spiegel mal an…“
…
„OOHH Gott! Oh Gottohgottohgott.“
…
„Lieb, dass du fragst. Also: Da ist ein schwarzer Fleck!“
…
„So fürsorglich, dass du mehr wissen willst. Also genau an dem Zahn, der in der Früh so schlimm schmerzt.“
„Gerade war es noch ,etwas‘.“
„Ha, du hörst also doch zu. Das ist bestimmt Karies, vielleicht hat er sich schon durch den Zahn gefressen. Was mach ich jetzt? Ich habe keinen Zahnarzt und ich habe ein riesiges Loch im Zahnzwischenraum!“
„Du hast Verfärbungen.“
„Der NHS hat bestimmt eine Hotline für Akutfälle.“
„Du kennst die Bedeutung des Wortes ,akut‘, ja?“
Aber ich höre dem vernünftigen Teil in mir schon nicht mehr zu und wähle die Nummer der NHS-Dentist-Hotline. Es hebt überraschend schnell jemand ab und erkundigt sich besorgt, wie viel Schmerztabletten ich bereits genommen habe, ob ein Zahn ausgefallen ist oder wie groß die zerfressene Stelle ist. Dann sagt die Beraterin ich soll bei NHS-Ärzten anrufen und um eine „Emergency Triage Consultation“ bitten.
Ich habe im vergangenen Jahr genug Corona- Nachrichten konsumiert, um zu wissen, dass ich für meinen schwarzen Fleck keine Triage-Consultation verlangen kann. Also frage ich am Telefon schüchtern nur nach einer Emergency Consultation, das klingt weniger dramatisch. Doch die NHS-Ärzte wissen wohl, dass sie nur beim richtigen Terminus reagieren müssen, also haben sie nichts frei.
Kurz überlege ich, die Sache sein zu lassen, doch da pocht der Zahn ganz laut und ich sehe mich mit angeschwollener Backe und nur mehr einem halben Gebiss, wenn ich nicht reagiere.
Auf die Seite des Privatzahnarzts klicke ich nur, um mich kurz abzulenken. Doch die Finger wählen die Nummer dann von selbst: Ich bekomme einen Termin am nächsten Tag. Die Panik weiß nicht, ob sie sich entspannen oder lieber weiter fürchten soll, weil der Termin beim Privatarzt uns um das Ersparte bringen könnte.
Sicherheitshalber entscheidet sie sich fürs Fürchten.
Die Praxis am nächsten Tag ist hell, kuschelig sauber und freundlich, ein Luftreinigungsgerät steht im Wartezimmer, in dem nur eine andere Person sitzt.
„Bestimmt kostet es hier Unsummen“, sagt die Panik; die Vernunft verdreht die Augen.
Nach drei Minuten werde ich ins Zimmer gerufen. Ein breit grinsender Teddybär eines Zahnarztes bittet mich zu setzen. Vielleicht ist er auch schlank, es ist nicht wirklich erkennbar unter dem weißen Astronauten-Imker-Komplettanzug. Über seinen Kopf ist trotz Maske noch eine Plastikglocke gestülpt.
Nicht einmal die Panik kann sich mehr fürchten.
Der Arzt prüft den Zahn sorgfältig auf Hitze und Kälte, macht ein Röntgen, räumt ein, dass der Nerv leicht beleidigt ist und verlangt am Ende …
…die Panik hält die Luft an …
…50 Pfund.
Als ich die Praxis verlasse, zwitschern die Vögel im Busch neben dem Haus, die Sonne bricht durch die Wolken und die Erleichterung sagt mir, dass die Sorge wieder einmal allein in der Ungewissheit gelegen ist.
In retrospect, of course, you can see the silliness immediately.
„Uh-oh,“ says the panic when she learns that dentist are not really covered in the English health system dentists and that it may take time to get a place on the health insurance scheme, which at least curbs the costs somewhat.
„Uh-oh,“ so Panik says again, thinking to herself in a rage, „Can you remember the story of that acquaintance who got a toothache when she was an au pair in America and the bottom line was that it was cheaper for her to fly to Vienna and back than to go to the dentist in America?“
„England ist not America,“ reason soothes.
„But it’s post-EU England.“
„Still. Besides, you don’t even have a toothache.“
„But I might get one.“
„When was the last time you got an acute toothache?“
„Fifteen years, seven weeks and three days ago.“
„So is it likely you’ll get some soon?“
„Well, if every person has a certain number of acute toothaches in their lifetime, then it might not be so reassuring if mine were a long time ago.“
„That’s just not how it works.“
„But it’s not completely unrealistic that I’ll need a dentist soon.“
„Why don’t we discuss this topic when the time comes? Since you got braces, you brush your teeth all the time anyway.“
„Yeh, but exactly the braces might trigger something, offend a nerve, or something… Now that you mention it.“
„I didn’t say anything.“
„Now that you mention it, up there on the left, I’ve been having a bit of pain there for a few days in the morning.“
„Bullshit.“
„Nono, really. I’d better have a look in the mirror…“
…
„OOHH God! Oh Godohgodohgod.“
…
„That’s sweet of you to ask. So: there’s a black spot!“
…
„So thoughtful of you to want to know more. So it’s right on the tooth that hurts so bad in the morning.“
„Just now it was hurting ‚a bit‘.“
„Ha, so you do listen. It’s probably tooth decay, maybe it’s already eaten through the tooth. What do I do now? I don’t have a dentist and I have a huge hole in the space between my teeth!“
„You have a brown stain.“
„I’m sure the NHS has a hotline for acute cases.“
„You know the meaning of the word ‚acute‘, yes?“
But I already stop listening to the sensible part of me and dial the NHS Dentist hotline number. Someone picks up surprisingly quickly and enquires anxiously about how many painkillers I’ve already taken, whether a tooth has fallen out or how big the chewed-up area is. Then the consultant tells me to call NHS doctors and ask for an „Emergency Triage Consultation“.
I’ve consumed enough Corona news in the past year to know that I can’t ask for a triage consultation for my black spot. So I sheepishly ask on the phone just for an Emergency Consultation, which sounds less dramatic. But the NHS doctors probably know that they only have to respond at the right appointment, so they don’t have space for an appointment.
I briefly consider letting it go, but then the tooth throbs quite loudly and I can see myself with a swollen cheek and only half a set of teeth left if I don’t respond.
I click on the private dentist’s page only to distract myself for a moment. But then my fingers dial the number themselves: I get an appointment the next day.
Panic doesn’t know whether to relax or continue to fear, because the appointment with the private dentist could bring us the savings. To be on the safe side, she decides to be afraid.
The practice the next day is bright, snugly clean and friendly, an air purifier is in the waiting room where only one other person is sitting. „It must cost a fortune here,“ says panic; reason rolls its eyes.
After three minutes I am called into the room. A broadly grinning teddy bear of a dentist asks me to sit down. Maybe he’s slim too, it’s not really discernible under the white astronaut-beekeeper full suit. Despite the mask, there is still a plastic bell over his head.
Not even the panic can be afraid any more.
The doctor carefully checks the tooth for heat and cold, takes an X-ray, admits that the nerve is slightly offended and in the end demands …
… panic holds its breath …
…50 pounds.
As I leave the dentist, the birds are chirping in the bush beside the house, the sun is breaking through the clouds and relief tells me that the worry was once again in the uncertainty alone.
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