Fliegen in Zeiten der neuen Normalität

Maske? Check. Desinfektionsmittel? Check. Reisepass? Check. Los geht’s.

Der Flughafen ist derzeit ja einer dieser konträren Orte, die man möglichst nicht besuchen möchte und bei denen man gleichzeitig dankbar ist, dass sie wieder geöffnet haben (auch wenn man sie der Umwelt zuliebe sowieso weniger nutzen möchte).

Nicht ganz so viel Dankbarkeit kommt auf, wenn man in Heathrow fünf Stunden auf die Maschine des Freundes warten zu müssen, weil das Reisebüro so lange mit der Buchung des Flugs gewartet hat, bis dieser ausgebucht war und der einzige noch verfügbare Flug fünf Stunden davor geht.

Aber dann wird in Heathrow eh wieder etwas passieren.

Alles wie immer, alles ganz anders

Es ist komisch, mit so vielen Menschen ins Flugzeug zu steigen. Die British-Airways-Maschine wirkt noch kleiner und enger als früher. Die Hoffnung, dass Mittelsitze vielleicht freigehalten wurden, wird beim Einsteigen zunichte gemacht: Die Maschine ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Zumindest tragen aber wirklich alle ihre Maske tatsächlich über Mund und Nase.

Sie würden heute nur Saft und Snacks austeilen, das hätten sie in enger Absprache mit Health-and-Safety-Experten so ausgearbeitet, erklärt die Stewardess. Als wenig später alle Passagiere gleichzeitig den Mundschutz abnehmen, um zu jausnen, kann ich mir kaum vorstellen, dass das irgendein Experte empfehlen kann. Ich nehme erst einen Schluck aus der Wasserflasche, als die anderen fertig gegessen haben. Dabei sind die Viren in der Zwischenzeit wohl kaum aus der Luft verschwunden.

Die Maschine setzt planmäßig auf der Rollbahn in Heathrow auf. Das Kontaktformular, auf das uns die Boardcrew im Flugzeug mehrmals hingewiesen haben, wird nicht überprüft.

Die Überbrückung

Jetzt also nur irgendwie die fünf Stunden rumbringen. Gleich eine ganze Stunde vergeht dann aber ohnehin damit, von Terminal 5 zu Terminal 2 zu gondeln und die Haltestelle des Terminal-2-Longstay-Carpark-Shuttles zu finden. Nur um beim Einsteigen zu erfahren, dass der Shuttle zuerst noch die Gäste vom Terminal 5 abholt.

Beim Öffnen des Autos kommen mir zwei Wochen abgestandene, heiße Luft entgegen. Die Fenster müssen auf! Ich stecke den Schlüssel ein und halte alle vier Fensteröffner nach unten gedrückt. Doch: Einzig das Fenster links vorne reagiert und rutscht mit einem Klonk! nach unten.

Seltsam. So kaputt habe ich das Auto nicht in Erinnerung.

Mit nur einem halb geöffneten Fenster kommt kaum frische Luft herein. Hier die Zeit zu verbringen, scheint semioptimal, auch wenn es im Freien ohne Maske angenehmer ist. Besser zurück ins Terminal; es war eh wenig los, ein Café wird schon offen haben. Ich bekomme auch Hunger.

Ich stecke also den Schlüssel ein und will das linke Fenster schließen. Doch: es bewegt sich nicht.

Nehme den Schlüssel raus, stecke ihn wieder hinein, drücke den Fensteröffner: Ganz, ganz langsam setzt sich das Fenster in Bewegung. Klettert Millimeter um Millimeter nach oben.  Hebt sich bis zur Mitte – uuuunnd fällt wieder hinunter.

Wir spielen das Spiel noch etwa fünf Mail.

Neuer Versuch: Ich drücke den Öffner, lehne mich nach links, sodass mir der Steuerknüppel in den Bauch sticht und schiebe das Fenster nach oben. Vielleicht braucht es Starterhilfe. Doch das Fenster wandert nun lediglich seitwärts. Panisch lass ich es los: Es fällt wieder hinunter.

Ich habe mittlerweile Hunger und Durst und muss auf die Toilette. Was mache ich?  Ich kann das Auto nicht hier im Freien mit offenem Fenster stehen lassen.

Ein letzter Versuch: Schlüssel raus, Schlüssel rein, drehen. Doch jetzt hebt sich das Fenster gar nicht mehr.

Unter Beobachtung

Vor mir fährt ein Mitarbeiter des Carparks vorbei. Er sieht mich stirnrunzelnd an.

Oh Gott, vielleicht haben sie mich über CCTV beobachtet, wie ich so lange an dem Auto herumbastle und glauben, ich will es stehlen!

Er fährt weiter. Erleichtertes Ausatmen.

Aber er biegt in die nächste Reihe ein und fährt hinter mir noch einmal vorbei. Er stellt den Motor ab.

Oh, verdammt, jetzt will er sicher wissen, ob das mein Auto ist und S. hat mir die Papiere nicht gegeben.

Er steigt aus.

Okay, schnell, was sag ich?

Er geht auf mich zu.

WAS SAGE ICH?

“Do you need help, miss?!“

“Yes, please!”

Der Mann, der sich als sehr netter Mitarbeiter mit freundlichen Augen entpuppt, erkennt mit einem Blick, dass die Autobatterie leer ist, holt das Starterkabel aus seinem Auto und hat in wenigen Sekunden den Volkswagen zum Brummen gebracht. (Was für ein Klischee, Anna.)

„Gute Fahrt!“, sagt er und schlägt die Motorhaube zu.

Als ich ihm sage, dass ich aber noch gar nicht weg kann, weil ich noch auf jemanden warte, muss er grinsen. „Whatever you do: Don’t turn the engine off.”

Also rolle ich langsam aus der Parkposition.

Nach einer halben Stunde kenne ich jede Ecke des zumindest ziemlich großen Parkplatzes und der Mitarbeiter hat mir im Vorbeifahren 20 Mal freundlich zugelächelt. Nach der 30. Runde riskiere ich es: Ich stelle den Motor ab. Starte ihn wieder: Das Auto schnurrt.

Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig zurück ins Terminal, bevor S. aus dem Transitbereich kommt.

„Und“, fragt er, als wir zum Ausgang gehen, „war dir sehr langweilig?“