Reisestopp für Pakete
+++ English Version below +++
Aus der Reihe: Siedeln in Zeiten von Corona. Teil eins, das Paket-Dilemma.
Die romantische Vorstellung ein Auto bis oben hin vollzupacken und damit durch Europa zu düsen, wird durch das klitzekleine Hindernis vereitelt, dass Grenzen derzeit wieder Grenzen sind und das Vorhaben maximal gelingen würde, wenn ich in keinem der drei Transitländer zum Pinkeln aussteige. Bei 16 Stunden reiner Fahrtzeit bekomme ich das knapp nicht hin.
Die nächste Idee, beim Flug Koffer dazu zu buchen, kommt mir exakt eine Minute nach Bezahlung des Fluges. Im Nachhinein kostet nun jedes weitere Gepäckstück 80 Euro. Dann eben lieber mit der Post. 30 Euro für bis zu 20 Kilo. Perfekt. Die erste Kiste ist Mitte Dezember schnell gepackt. Doch wie soll sie eigentlich zur Post?
Mir fallen meine großen durchsichtigen Ikea-Kisten ein. Die mit den kleinen Rädern. Das müsste klappen.
Stein im Getriebe
Vor der Haustür bin ich solange von meiner Idee begeistert, die rollende Kiste als Fahruntersatz zu verwenden, bis ich mein instabiles Gebilde zu schieben beginne. Ich habe die Rechnung ohne den Streudienst gemacht. Die kleinen Steinchen verkeilen sich im Kugelwerk, sodass sich nach zwei Metern nichts mehr dreht.
Aber 20 Kilo auf vier kleinen Füßchen schieben geht leichter als 20 Kilo tragen, also setzen der Paketturm und ich den Weg so fort. Die knirschenden Streusteinchen schreien durch die Gasse als wären sie ein Presslufthammer. Ein Junge vor mir blickt sich erschrocken um. Auf mein „Entschuldigung!“ schüttelt der Vater nur missbilligend den Kopf.
Die Kiste und ich brauchen eine halbe Stunde für einen Weg, der sonst fünf Minuten lang ist.
Vor der Post steht dann die Schlange bis zur nächsten Häuserrecke. Ich überlege kurz, ob die Wartenden hinter mir verärgert sein werden, dass ich mit meiner Paketkonstruktion alles aufhalte. Aber es ist zwei Wochen vor Weihnachten im Soft-Lockdown und es kommen Menschen mit Paketen in der Größe von kleinen Einfamilienhäusern aus der Postfiliale. Mein schlechtes Gewissen hält sich in Grenzen.
Aus dem Chaos
Nachdem ich endlich am Schalter bin und das Paket abgegeben habe, beschließe ich, das Chaos der Vorweihnachtszeit abzuwarten, wieso sich den Stress noch einmal antun?
Nach Weihnachten ist es ruhiger. Leider: zu ruhig.
Denn als man denkt, in dieser Pandemie schon alles gesehen zu haben, taucht in England eine Mutation auf. Natürlich in England. Und jetzt würde ich mir nichts lieber als lange Schlangen wünschen, endlos lange Schlangen, den ganzen Tag möchte ich anstehen, alles besser, als dieser komplette Paketstopp.
Natürlich kommt mir auch erst da die Erkenntnis, dass im neuen, Post-Brexit-Jahr (Achtung, Wortspiel;) ) der Versand nach England wohl teurer wird. Jep, in meinem Fall: um zwei Drittel.
Die fünf Kisten im Schlafzimmer sehen mich vorwurfsvoll an.
Mitleidsversuch
Vielleicht, überlege ich am Tag vor Silvester, werden Pakete in Wahrheit nur nicht weggeschickt, vielleicht kann man sie dennoch abgeben, vielleicht werden sie gelagert, das können sie doch nicht machen, so lange den Versand stoppen, bis die Tarife erhöht sind, das verstößt bestimmt gegen ein Recht. Ich könnte einfach erscheinen. Vielleicht haben die Postbeamten Mitleid mit mir. Sie werden einen doch mit einer schweren Kiste nicht wieder nach Hause schicken?
Natürlich schicken sie einen wieder nach Hause. Mit einem verärgerten Gesichtsausdruck noch dazu. Und wer kann es ihnen verübeln, sie hatten die vielleicht stressigsten Wochen ihrer Laufbahn hinter sich.
Also schiebe ich die Kiste wieder Richtung Tür.
Im Jänner rufe ich täglich beim Kundenservice an.
Mitte Jänner ist es so weit. „Die Sperre wurde aufgehoben“, sagt die Angestellte und klingt fast selbst ein wenig ungläubig. Mein Herz hüpft. Ich baue meine Schieb-Konstruktion wieder auf und stelle in der Euphorie zwei Kisten übereinander.
Großer Fehler.
40 bockige Kilo
Die Räder wollten sich bei einer Kiste schon nicht mehr drehen, bei zwei radieren sie über das Trottoir, sodass sie nach einer Häuserecke Halbmonde sind. 40 Kilo, die sich wie ein bockiger Esel sträuben. Ich schiebe, ich ziehe, ich fluche. Der Schweiß rinnt mir in Bächen über den Rücken und in den Nabel. Wir brauchen für den Weg zur Post nun eine Stunde.
Schweißgebadet komme ich am Schalter an.
„Wohin?“, fragt der Postbeamte.
„England“; sage ich.
„Geht nicht“, sagt er und der Pegel des Schweißozeans in mir steigt noch etwas an.
Wie, geht nicht? Geht nicht, gibt’s nicht. Sicher NICHT nehme ich die Kisten wieder mit. Ich werde sie keinen Zentimeter mehr schieben. Nicht mehr raus und sicher nicht mehr zurück in die Wohnung! Ich werde einfach hierbleiben, ich werde so lange auf den Kisten sitzen, bis ich sie abgeben darf, und wenn ich hier schlafen und…
„Oh“, sagt der Mann. „Geht offenbar doch.“
Ich möchte ihm um den Hals fallen, aber ich bin zu schlapp, also hieve ich die erste Kiste auf die Waage. 19,9 Kilo.
Als ich die Post verlasse, ist es finster. Ich möchte erleichtert ausatmen, aber mir fallen die drei weiteren Kisten ein. Ich blicke auf die zerschrammte Plastikkiste unter meinem Arm.
Irgendwann ist Schluss. Ich greife zum Handy. „Papa, ich brauche dich!“, sage ich ermattet.
Und weil meine Eltern die besten sind, springt er ins Auto.
***
Travel Stop for Parcels
From the series: Settling in Times of Corona.
Part one, the parcel dilemma.
The romantic notion of packing a car to the top and jetting across Europe is thwarted by the teeny-tiny obstacle that borders are currently borders again and the scheme would only succeed if I didn’t get off to pee in any of the three transit countries. With 16 hours of pure driving time, that might be just a bit too long.
The next idea, to book additional suitcases for the flight, comes to me exactly one minute after paying for the flight. Now, each additional piece of luggage costs 80 euros. I’ll just send it by post, then. 30 euros for up to 20 kilos. Perfect.
The first box is quickly packed in mid-December. But how is it supposed to actually get to the post office? I think of my big transparent Ikea boxes.
The ones with the little wheels. That should work.
Stones in the way
I’m thrilled with my idea of using the rolling crate as a driving base until I am on the street and start pushing my unstable contraption. I’ve done the maths without the gritting service. The little stones get wedged in the ball mechanism, so that after two metres nothing turns any more.
But pushing 20 kilos on four little feet is easier than carrying 20 kilos, so the package tower and I continue on our way. The crunching stray stones scream through the alley as if they were a jackhammer. A boy in front of me looks around, startled. To my „Excuse me!“ the father just shakes his head disapprovingly.
The box and I need half an hour for a walk that would otherwise take five minutes.
Then, of course, there is a super long queue in front of the post office. I briefly wonder, whether the people waiting behind me will be annoyed that I am holding everything up with my package construction. But it’s two weeks before Christmas in soft-lockdown and people are coming out of the post office with parcels the size of small detached houses. My guilty conscience disappears.
Too calm
After I finally get to the counter and drop off the parcel, I decide to wait out the chaos of the pre-Christmas season, why put myself through the stress again? After Christmas, things will be calmer.
Unfortunately: too calm. Because just when you think you’ve seen it all in this pandemic, a mutation turns up in England. Of course, in England. All of a sudden, I would like nothing better than long queues, endlessly queues, I would like to queue all day, anything better than this complete parcel stop.
Of course, it’s only then that I realise that in the new, post-Brexit year, shipping to England will probably become more expensive. Yep, in my case: by two thirds.
The five boxes in the bedroom look at me reproachfully.
Compassionate attempt
Maybe, I think on the day before New Year’s Eve, parcels are really just not sent away, maybe they can still be dropped off, maybe they are stored, after all, they can’t do that, stop shipping until the rates are increased, that’s surely against some law. Maybe I should just turn up, maybe the postal workers will take pity on me. They’re not going to send you home again with a heavy box, are they?
Of course, they send you home again. With an annoyed look on their face. And who can blame them, they’ve had perhaps the most stressful weeks of their careers.
So I push the box back towards the door.
In January, I call customer service every day.
In mid-January the time has come. „The block has been lifted,“ says the employee, sounding almost a little incredulous herself.
My heart leaps. I rebuild my sliding construction and, in my euphoria, put two boxes on top of each other.
Big mistake.
Forty stubborn kilos
The wheels did no want to turn with one box on top of them, with two, they rub over the pavement, so that after five steps they are immovable halfmoons.
Forty kilos, balking like a stubborn donkey. I push, I pull, I curse. The sweat runs in rivulets down my back and into my belly button. It now takes us an hour to get to the post office.
Drenched in sweat, I arrive at the counter.
„Where to?“ asks the postal worker.
„England,“ I say.
„You can’t,“ he says, and the level of the ocean of sweat inside me rises a little more.
What do you mean, can’t? There’s no such thing. I am certainly NOT taking the boxes back. I will not push them another inch. Not out the door and certainly not back into the flat! I will just stay here. I’m just going to sit on the boxes until I’m allowed to hand them in, and when I sleep here and….
„Oh,“ the man says. „Apparently you can.“
I want to fall around his neck, but I’m too wimpy, so I heave the first box onto the scales. 19.9 kilos. It’s already dark, when I leave the post office. I want to exhale in relief, but I remember the three other boxes.
I look at the scratched-up plastic box under my arm. Enough is enough. I reach for my mobile phone. „Dad, I need you!“, I say, tired. And because my parents are the best, he jumps into the car.
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