Das Gehirn ist ein bisschen absurd
Manchmal, morgens im Bett, wenn ich noch nicht aufstehen möchte, mit dem linken Ohr am Kopfkissen liege und das Herz im Ohr pochen höre, erinnere ich mich daran, dass ich das Pochen als Kind für Fußschritte gehalten habe.
Es muss an Wochenenden gewesen sein, ich war wohl so um die sieben Jahre alt. Die Wohnung war noch ganz leise. Und ich war wieder einmal zu früh munter. Ich war als Kind oft zu früh munter.
Später würde ich oft die “König der Löwen”-Videokasette in den Videorekorder stecken und zumindest beginnen, den Film anzusehen. Ich konnte ihn bald auswendig.
Dabei schaffte ich ihn in der Früh oft gar nicht zu Ende. Meist kamen meine Eltern in der Zwischenzeit doch herein und dann konnten wir endlich frühstücken.
Theoretisch hätte ich bei den Vorschauen vorspulen können, aber ich tat es nie. Zuerst kam die Werbung für die “König der Löwen”-CD-Rom, anschließend die Vorschau von Pocahontas. Zwei verschiedene Welten, eine wahre Leben, ab Herbst 1995 im Kino.
Morgendstund’…
Aber bei dieser Erinnerung – vielleicht war ich noch jünger – lag ich nur so da, auf der linken Seite, pock, pock, pock und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob das Pochen in meinem Kopf war oder von außen hereindrang.
Vielleicht waren meine Eltern doch schon auf dem Weg in die Küche?
Leise schlüpfte ich aus dem Bett – warum eigentlich vorsichtig? – und tapste in den Gang.
Weiter in die Küche.
Aber in der Küche war nichts außer der Rest der Nacht und eine kleine Welle der Enttäuschung überrollte mich.
Ich tapste wieder zurück.
Ich weiß noch genau, wie das Bett aussah (aus Holz mit abgerundeten Kanten), wo das Nachtkasterl stand und wie der Blick von meinem Kinderzimmer auf die Straße drei Stockwerke darunter freigab.
Es ist eigentlich keine besondere Erinnerung, kein dramatisches Ereignis, das es rechtfertigt, dass diese Erinnerung nach so vielen Jahren noch immer wie eingebrannt ist.
Alt, jung zeitlos
Ich sehe mich von außen als kleines Mädchen, aber innen drinnen bin ich eigentlich so alt wie heute.
Absurd, natürlich.
Immerhin gehe ich jetzt auf die 40 zu. (Worauf ich vergangenes Wochenende wiederholt aufmerksam gemacht wurde. Irgendwie haben alle vergessen, dass ich doch zum zweiten Mal 30 geworden bin.)
Völlig ausgetauscht
Zum zweiten Mal 30 und die sechsjährige Version meiner selbst noch ganz genau im Gefühl.
Wie viel habe ich mit diesem kleinen Mädchen noch gemein?
Ich habe einen Artikel gelesen, dass das Skelett eines Menschen nach zehn Jahren komplett ausgetauscht ist. Die Leber ist sogar schon nach zwei Jahren rundum erneuert.
Keine einzige Zelle mehr die gleiche.
Nur das Herz ist anders. Hier bilden sich maximal 40 Prozent der Zellen neu. Spannend, wo es von all den Muskeln ja wohl die meiste Arbeit hat.
Unfaire Verteilung, irgendwie.
Vielleicht speichern die alten Zellen im Herz diese ganzen Erinnerungen.
Dieses Gefühl der Aufregung, wenn wir mit dem Auto auf den Parkplatz des Bauernhofs einfuhren und der Sommerurlaub gerade noch nicht begonnen hatte.
Der Knoten im Bauch, wenn ich die Schularbeitsangabe umblätterte.
Der Hüpfer des Herzens, wenn der Bursch, den ich süß fand, ins Blickfeld kam.
Der Geruch von Zuhause.
Am liebsten kommen solche Überlegungen rund um den Geburtstag.
Bei all den Sektgläsern, Bananenschnitten und lieben Geschenken ist es eine nachdenkliche Zeit.
Melancholisch, aber schön, würde Hugh Grant sagen, wenn wir in Notting Hill wären und dann die blaue Tür schließen.
Weil sich Filmzitate wie Erinnerungen einprägen.
Das Gehirn ist ein bisschen absurd.
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