336 Stunden

14 Tage Quarantäne.

Das ist doch nichts – denke ich mir, als ich am 20.3. die Tür hinter mir zumache. Ich bin direkt vom Flughafen nach Hause gefahren. Es ist einer der ersten Tage, an dem alle Reisenden sich für zwei Wochen selbst isolieren müssen. Ich bin dankbar, in Wien zu sein und denke, dass zwei Wochen doch vergehen werden.

Und während es kein Vergleich ist, zu dem unmenschlichen Kraftakt, den so viele Menschen derzeit stemmen müssen (und ich kann ihnen meine Dankbarkeit nicht genug aussprechen) und auch nicht, zu dem was viele durchstehen müssen: Der aktuelle Ausnahmezustand, die ständig mitschwingende Angst und 14 Tage lang nicht die vier Wände verlassen zu dürfen, sind nicht nichts. Das macht etwas mit einem.

Zwei Wochen lang habe ich versucht, das Gefühl in Worte zu fassen.

Es kam nichts.

Gestern kam ein Gedicht:

(Wer hören mag, die Audiodatei anklicken, ansonsten gibt es den Text unten angehängt zum Lesen.)

zwei wochen,

14 tage,

336 stunden.

.

14 tage, das ist doch nichts.

14 tage, was soll das schon sein?

das ist doch rein

gar nichts, verglichen mit dem,

was ärztinnen und ärzte gerade leisten,

was pflegerinnen und pfleger oder apothekerinnen und apotheker meistern,

und supermarktangestellte gerade herumhetzen müssen,

damit wir in unseren bädern und küchen

keine einbußen zu verzeichnen wissen.

.

14 tage lange also: nichts.

nicht hinaus gehen.

gerade mal aus dem fenster spähen.

aber nicht in kontakt treten.

sich die beine nicht vertreten.

den supermarkt nicht betreten.

beste gelegenheit also, sich den lagerkoller einzutreten.

.

denn das nichts,

das doch anfangs so friedlich in der ecke lag,

das unschuldig die augen schloss und so tat,

als würde es einen in ruhe lassen.

dieses nichts,

entpuppt sich schon nach sehr schneller Zeit als sein gegenteil.

es ist ein schwarzes loch, ja eigentlich sogar ein raubtier

und es verschluckt die energie in mir,

die anfangs doch in so großer menge da war.

als ich mich am beginn der 336 stunden hinsetzte,

alles daransetzte,

motiviert einen plan aufsetzte.

eine liste darüber erstellte,

was ich nicht alles tun wollte.

.

NUTZ DIE ZEIT!

rufen die erfolgscoaches.

IN DER KRISE WERDEN DIE NEUEN LEADER GEBOREN.

verkünden sie, verbünden sie sich mit meinem schlechten gewissen,

atme tief ein und tief aus,

mach dir nicht so viele sorgen,

mach dir lieber einen plan.

.

oder willst du im nachhinein enttäuscht zurückblicken,

verärgert versuchen das zeitloch zu flicken,

dich grämen, dass du es nicht genützt hast?

well, f*** you! pardon my french.

aber ganz ehrlich, mensch,

wie kommst du auf die idee?

wir sind hier nicht in einem detox-retreat,

es ist ja ganz lieb,

dass du versuchst, uns anzuspornen,

aber wir sind in einem verdammten ausnahmezustand,

um uns herum sind tausende menschen schwer krank.

das ist hier kein spaß,

das ist sau gefährlich.

es kann jeden treffen

und wir müssen jetzt ehrlich

aufpassen.

.

und es tut mir sehr leid, dass du jede stunde,

ja offenbar sogar  jede sekunde,

deines lebens „sinnvoll“ verbringen musst.

ich nehme an, es ist dein frust.

der dich zu solchen sätzen treibt.

offenbar bist du mit dir selbst noch nicht ganz so im reinen.

sonst hättest du nämlich kein

problem damit, alles einfach mal heilen zu lassen.

dich hinzusetzen, den schein zu erfassen,

und es sein zu lassen.

.

ach, und es tut mir natürlich jetzt schon leid,

dass ich dich gerade so angegangen bin.

du musst wissen, ich bin hier vielleicht auch ein bisschen ein gebranntes kind.

du hast einfach einen wunden punkt getroffen.

denn natürlich, war es mein erster gedanke zu hoffen,

dass ich hier jetzt nicht ganz viel zeit verlieren werde.

ganz viel zeit in einem jahr, in dem ich doch so viel wachsen wollte.

lernen und reisen

und wachsen und weisen

menschen zuhören.

zuerst kam der ärger und dann kam die angst.

sie wüteten in mir und stritten auf ganz

unfairen ebenen. und inmitten des sturms war ich nicht sicher, wie es weiter gehen würde.

.

aber ich hätte es wissen sollen, denn bis jetzt ist noch auf jede große hürde

die sonne gefolgt. und als ich am freitag um 9 uhr früh die laufschuhe anziehen

und das erste mal aus meinen vier wänden entfliehen

darf. da kommen die tränen,

da kommt die freude,

da kommt die zuversicht

und sie sagen mir beide,

dass alles wieder gut wird.

sie waren nie weg.

ich war nur nicht da.

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