Ein Moment fürs Marmeladenglas
Die Eingangstür geht auf und mein Herz klopft. Ich habe dich doch nur sieben Wochen nicht gesehen. Und über Skype dazwischen doch eh ganz oft. Aber als du jetzt die Tür öffnest und im Rahmen stehst, da laufe ich los. Ich habe die Kraft der Umarmung unterschätzt. Wie sehr muss ich mich darauf einstellen, wieder länger ohne sie auszukommen? Die Zuversicht prescht vor, die Angst bremst.
Ein Text über die verwirrten Gefühle zur neuen Normalität.
(Es gilt wieder: Wer hören mag, die Audiodatei anklicken, ansonsten gibt es den Text unten angehängt zum Lesen.)
vorsichtig
öffnet sich die tür.
zaghaft,
wie ein verschrecktes tier,
blicke ich hinaus.
ist es frei?
ist es vielleicht wirklich schon vorbei?
.
sie steht jedenfalls schon in der türöffnung,
die hoffnung,
und strahlt einen an,
streckt einem die hand
entgegen, aber man zögert, man hadert
hat man sich auch
in keinem trugbild verrannt?
.
es ist dieser zwischenzustand,
zwischen bangen und hoffen.
diese gemütslage,
in der man gern wieder offen
auf dinge zugehen will.
in der man die zuversicht
hereinbitten möchte.
aber – sachte.
.
denn man weiß ganz genau,
wenn man nach dem aufmachen,
wieder schließen müsste:
sich zurückziehen,
sich einkasernieren,
sich isolieren.
man würde vergrämen,
man würde verzagen.
und so, denkt man sich,
ist es vielleicht besser
noch ein wenig zu warten
nicht gleich alles zu wagen?
.
hat sich die angst zu lange an die kommandozentrale gesetzt?
hat die gedanken geframed,
die sorge erkannt,
die vorsicht zur generalsekretärin ernannt.
oder hat man sich verschätzt?
.
wie soll das gehen,
fragt der zweifel
werden wir nicht das nachsehen
haben, wenn wir jetzt wieder hinausgehen?
du wirst sehen,
sagt die zuversicht,
es wird gutes geschehen.
.
und so stehe ich vor deiner tür
ich bin ganz aufgeregt
und kann es mir nicht ganz erklären
es ist ja nicht so als wären
es monate gewesen,
es waren doch nur sieben wochen
aber dem geist kann man nichts vormachen
er weiß, was los war.
er weiß, dass die wohnung zwar gleich aussah
aber dass sie eigentlich mehr ähnlichkeit mit einer zelle barg.
und so waren es sieben wochen allein im märz und zwanzig weitere im april, also gefühlt, eher ein jahr.
.
die welt stand zwar still,
aber ruhig waren wir nicht.
wie waren zwar drin,
aber in uns waren wir nicht in sicht.
.
und so versuchten wir vielleicht das stresslevel
wegzuturnen
fortzubacken
fernzuskypen
die trägheit bestrafen.
aber das selbstoptimieren
hilft nur beim deprimieren.
andere versuchten,
die sorge vor der distanz zu verlieren
sie einfach zu negieren.
aber das war doch alles nicht wahr!
.
und als du jetzt die tür aufmachst,
im rahmen stehst
und die arme ausbreitest,
da laufe ich los.
ich falle dir in die arme
deine haare kitzeln mich im gesicht
ich spür deine wärme.
dein brillenrand sticht
mir in die schläfe,
doch nichts überträfe
diesen augenblick.
ich will diesen moment einsaugen.
die gefühle aufklauben
und in ein marmeladenglas stecken.
.
warum kann man dinge immer erst schätzen,
wenn sie einmal weg waren?
warum kann man leichter genießen,
wovon es wenig gibt?
wieso kippt
das besondere im zuge des alltags in die banalität?
.
aber vielleicht kann man das verhindern?
vielleicht kann man es unterbinden?
muss man nur wollen?
.
und wie kann es uns gelingen,
dass wir künftig rausgehen,
ohne die tiere wieder komplett zu verdrängen?
unsere arbeit aufnehmen,
ohne die natur weiter einzudämmen?
uns groß machen,
und die anderen dabei nicht klein?
uns vorantreiben,
ohne das andere leiden?
in den alltag eintauchen,
ohne wieder unterzugehen?
.
kannst du es vielleicht schon sehen?
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