Freitagabends mit Tinder oder Abende, wie man sie braucht

Untersetzer schwarz mit Aufschrift "leer"

Freitag, 18.35 Uhr.  (Im Büro)

Verdammt, schon kurz nach halb sieben, in einer Stunde muss ich weg. Geht sich das aus? Soll ich lieber absagen? Will ich abgehetzt auf ein erstes Date gehen? Und hungrig? Damit kann ich doch keinen guten ersten Eindruck erwecken…

Aber so kurz davor absagen? Das ist unhöflich. Noch dazu ist Freitagabend. Wäre ich nicht super enttäuscht, wenn mir jemand so kurzfristig absagen würde? 

Außerdem: Vielleicht tut es mir gut. Vielleicht bringt es mich auf andere Gedanken. Vielleicht finde ich ihn ja zur Abwechslung mal nett.

Und es hat ihn ja auch fast zwei Wochen gebraucht, das Treffen zu fixieren.

Ich verstehe dieses Rumeiern ja nicht:  Wieso soll ich nach einem Tinder-Match wochenlang herumtippseln? Ich weiß doch gar nicht, ob ich die Person am anderen Ende leiden kann. Besser man hält die Gespräche kurz und geht gleich etwas trinken.

Ja, trinken. Ein Glas Wein oder zwei. Das wäre heute schon gut.

Gut, dann schaue ich also hin. 50 Minuten noch. Das schaffe ich.

19.55 (Stelle meine Vespa ab)

Ist sich ja alles perfekt ausgegangen. Wieso ich mir auch immer im Vorhinein Stress mache. Alles gut. Dafür habe ich doch wieder etwas Herzklopfen. Warum, eigentlich? Ich kenne ihn doch noch gar nicht.

In einem Architektenbüro arbeitet er. Vielleicht kann er mir dann endlich mal helfen, mein Wohnzimmer zu attraktivieren. Obwohl, das wären ja Innenarchitekten. Er kann mir also höchstens ein neues Haus bauen.

Wäre auch nicht das Schlimmste.

(Klassiker. Noch nicht einmal gesehen und schon für Arbeiten eingeteilt.)

Hm, sollte ich vielleicht noch einen Screenshot an Mia schicken? Nicht, dass ich glaube, dass etwas passiert. Aber wohler fühle ich mich doch immer, wenn ich weiß, meine Freundin hat ein Bild von ihm in petto, um es im Falle meines Verschwindens der Polizei zeigen zu können.

(Nein, ich habe nich zu viele viele Krimiserien gesehen, thank you very much.)

Oh, wir haben ja noch gar keine Nummern ausgetauscht. Na gut, dann sende ich ihr sein Tinderbild.

Komisch, wo ist denn unser Cha….

WAS FÜR EIN ARS….!

Hat er doch einfach unseren Chat gelöscht.

Die einzige Art unseres Kontakts.

Alle Brücken zwischen uns.

Und ich habe nun nicht einmal die Chance, ihn zu kontaktieren. Ihm zu sagen, was für ein verdammter Idiot er ist, dass er mich am Freitagabend ohne ein Wort, ohne ein schlechtes Gewissen sitzen lässt.

Wer macht denn so etwas?!?

20.05 (am Weg zurück zur Vespa, durch meine Mails scrollend, sehe ein Save the Date)

Geil: Alle heiraten und mich will nicht mal der Tindertyp treffen.

20.27 (laufe mit Mia telefonierend durch die Innenstadtgassen)

“Aber der ist doch ein Trottel”, sagt meine Freundin. “Sei doch froh, dass du nicht zwei Stunden mit diesem Idioten verbracht hast.”

Ja. Eh.  Sagt sich auch leicht, wenn man seit drei Jahren in einer glücklichen Beziehung ist. Wenn man also nicht zwei Wochen lang mühsam die Chat-Konversation aufrechthalten muss, um eine Freitagabendverabredung zu bekommen. Oder: Nicht zu bekommen.

Mia fährt fort: “Der hat es  doch gar nicht verdient, dass du ihm auch nur zwei Minuten deiner Zeit schenkst.”

Und das trifft etwas in mir.

Ich schenke ihm meine Zeit? So habe ich mir das noch nie überlegt. Aber fühlt sich gut an.

Ich verabschiede mich von Mia und lege auf.

Suche mir ein nettes Lokal, setze mich auf einen der Tische im Schanigarten und bestelle mir ein Glas Wein.

Ein bisschen seltsam fühlt es sich an. So allein.

Aber gut seltsam.

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