Wie man die Kälte des Winters abschüttelt

+++ English version below +++

Wir haben den Flusswanderpfad zufällig entdeckt.
Die Blumenfrau ums Eck hat uns für Hauspflanzen ins große Gartenzentrum nach Brambridge geschickt, in ein kleines Dorf eingerahmt von Wiesen und Feldern. Zwei Mal links, zwei Mal rechts auf den gewundenen, englischen Straßen und schon liegt es wie ein dicker Kater vor dem Kamin: ein Herrenhaus von einem Gartenzentrum gefüllt mit üppigen grünen Pflanzen und wunderbaren Accessoires.

Nach den Besorgungen ist es zu sonnig und mild, um wieder ins Auto zu steigen. Also starten wir los, ziellos, folgen der bewaldeten Forststraße zunächst nach links. Aber es ist unangenehm, sich ständig in den Gatsch der Seitengräben zu retten; die englischen Autos haben wenig Zeit auf, uns auszuweichen, während sie um die Ecken schießen. Wir wollen schon umkehren, da glitzert er linker Hand, gluckert verspielt in der Wintersonne, sein sanftes Plätschern ein Lockruf.

Die Luft schmeckt nach Aufbruch und Ankommen. Efeu schlängelt sich um die winterkahlen Bäume am Ufer, das Gras hat die Nährstoffe aus dem feuchten Boden gezogen und ist schon ganz grün. In England will ich stets ans Meer und vergesse dabei immer wieder die Schönheit der Flusslandschaft.

Die Sorgen gehen unter

Wir spazieren leichten Fußes. Bald spaltet sich das Flussbett, nun zieht der Fluss rechts und links von uns hinab; linker Hand schneller, rechter Hand träge, die Gedanken treiben mit, die Sorgen gehen unter.

Wir sind nicht die einzigen Flaneure, doch anders als in der Einkaufsstraße fühle ich mich nicht bedrängt. Kurz vor einem Zusammentreffen dreht sich jeweils eine Gruppe zur Seite, blickt auf das treibende Wasser, auf eine Gruppe Enten oder die Lamas am anderen Ufer, dreht der anderen Gruppe den Rücken zu.

Eine unausgesprochene Geste des Respekts. Und wir sind so dankbar über die Rücksicht des anderen, dass wir vergessen, dass ein zugekehrter Rücken einmal ein Zeichen der Missachtung war.

Irgendwie wird trotz oder wohl gerade wegen der Distanz kommuniziert, da wird zugenickt, eine Beobachtung geteilt, über das geeignete Schuhwerk diskutiert, gelacht, als der junge Mann probiert in einem Satz über den kleinen Bach, der auf einmal den Weg kreuzt, zu setzen und doch mit dem ganzen Fuß im Wasser landet. Und als eine ältere Frau uns beim Schmusen erwischt, ruft sie, „Oh, lass sie runter, du weißt nicht, wo sie schon überall war“ und lacht. Ein Nachmittag mit Freunden.

Unabsichtlich überhört

Wir sind fast zu schnell zurück am Parkplatz und ich möchte das Gespräch nicht überhören.

Eine Familie hat sich gerade eingeparkt. Die Kinder, zwei Mädchen, haben aber keine Lust, noch spazieren zu gehen. Wo gehen wir überhaupt hin, ihr wisst ja gar nicht wo wir sind!

Die Mutter seufzt. Gut, dann lassen wir es, sagt sie und alle drehen sich zum Auto, selbst die Mädchen mit hängenden Schultern, als hätten sie ihren Erfolg gar nicht gewollt.

Soll ich etwas sagen?

Ich steige ins Auto, lasse die Familie nicht aus den Augen, sie öffnen die Türen, klettern hinein, jetzt sind fast schon alle drinnen, nur der Vater, hat noch ein Bein herau…

Stop! Sucht ihr einen Spazierweg?

Der irritierte Blick des Vaters.

Da hinten gleich ums Eck ist ein ganz süßer Flusspfad.

Der Vater runzelt die Stirn.

War es doch zu viel? Fühlt er sich belauscht, bedrängt, wird er sich echauffieren, weshalb ich gelauscht…

Aber dann beginnt er zu lächeln.

Danke, ruft er und schon schälen sich alle wieder aus ihren Sitzen.

Als wir über den Kies zum Ausgang rollen, winkt die Familie noch einmal. Die Abendsonne wärmt schon ein bisschen durch die Fensterscheiben. Es fühlt sich gut an, die Rückkehr des neuen Lebens, die Wiederkehr des Gemeinschaftsgefühls.

Diesen Frühling müssen wir nicht nur den Frost des Winters, sondern auch die Kälte der Isolation abschütteln.

How to shake off the cold of winter

We discovered the river walk by chance.
The flower lady round the corner sent us for houseplants to the big garden centre in Brambridge, to a small village framed by meadows and fields. Two turns to the left, two turns to the right along the winding, narrow English roads and there it is, like a fat cat in front of the fireplace: a mansion of a garden centre filled with growing green plants and wonderous gardening accessories.

After the errands, it’s still too sunny and mild to get back into the car. So, we start off, aimlessly, following the wooded forest road to the left, but it’s unpleasant to keep jumping from cars into the slush of the side ditches; the English cars have little time to avoid us as the wind around bends.

We are about to turn back when the river glistens on our left, gurgles playfully in the winter sun; its gentle lapping a beckoning call.

The air tastes of awakening and arrival. Ivy twines around the winter-bare trees on the bank, the grass has drawn the nutrients from the damp soil and is already quite green. In England, I always want to go to the sea, and I often forget the beauty of the river landscape. We walk lightly.

Worries are sinking

Soon, the riverbed splits, now it descends to our right and left, left hand faster, right hand sluggish, thoughts drifting along, worries sinking.

We are not the only strollers, but unlike in the shopping street, I don’t feel crowded. Shortly before a meeting, one group turns to the side, looks at the floating water, at a group of ducks or the llamas on the other bank; turns its back to the other group. An unspoken agreement of respect. And we are so grateful for each other’s consideration that we forget that a turned back was once a sign of disrespect.

Somehow, despite the distance, or perhaps because of it, there is communication, nodding, sharing an observation, discussing the appropriate footwear, laughing as the young man tries to cross the small stream that suddenly crosses the path in a single bound and lands with his whole foot in the water. And as we once kiss in a bend, the old lady that passes by says jovially: “Oh, put her down she you don’t know where she has been.” An afternoon with friends.

Unintentionally eavesdropping

We are back at the car park too soon and I don’t want to eavesdrop, but it is so hard not to. The children, two girls, don’t feel like going for another walk. Where are we going anyway, you don’t even know where we are! The mother sighs. Well, let’s leave it then, she says, and everyone turns towards the car, even the girls with drooping shoulders, as if they hadn’t really wanted their complaining to be successful.

Should we say something?

I get into the car, don’t take my eyes off the family, they open the doors, climb in, now almost everyone is inside, only the father still has one leg out….

Stop! Are you looking for a walk?

The irritated look on the father’s face.

There’s a lovely river path just around the corner.

The father frowns.

Was it too much after all? Does he feel harassed, pestered will he get upset because we eavesdropped…?

But then he begins to smile.

Thank you, he calls, and all of them are peeling out of their seats again.

As we roll over the gravel to the exit, the family waves to us once more. The evening sun is already warming a little through the window panes. It feels good, this return of new life but also the spirit of community.

Because this year we have to shake off not only the frost of winter, but also the cold of isolation.