Neues Land Sehen

Ich bin allein, umgeben von Gelächter.

Die einzige Frau mit dem Koffer in einem Meer professionell ausgestatteter Backpacker, die sich die lustigsten Geschichten erzählen, lachen, diskutieren, philosophieren, sich auf Adrenalinkicks freuen…

Vor allem: Nicht alleine sind.

(Okay, vielleicht sind nicht alle Menschen, die in Singapur am Gate A15 für den Flug Richtung Christchurch, Neuseeland, anstehen in Gruppen unterwegs. Der ältere Mann hinter mir ist auch alleine. Aber er sieht grantig aus, genervt. Groß, breitschultrig, um die 60, buschige Augenbrauen, grimmiger Blick. Ob er ein Choleriker ist? Vielleicht stänkert er mich gleich an, wenn ich nicht schnell genug weitergehe. Und niemand da, mit dem ich das besprechen kann.)

Vielleicht war es ein Fehler, alleine loszuziehen.

Möglicherweise werde ich in Neuseeland überhaupt keine Menschen kennenlernen.

Eventuell werden meine Stimmbänder einrosten und…

“Sorry, is this the Gate for Christchurch?”

Irritiert blicke ich mich um. Der Mann, den ich als cholerischen Grantler abgetan habe, blickt mich erwartungsvoll-freundlich an. Unter den buschigen Brauen sind sanfte Augen.

Ich bin eben eine richtige Menschenkennerin.

Pinguine in Edinburgh

Ob er wirklich nicht wusste, ob das Gate stimmte, oder nur ins Gespräch kommen wollte, weiß ich nicht. Aber ist auch egal, das belanglose Plaudern ist herrlich. Er erzählt, dass er aus Dunedin kommt, einem Städtchen im Südosten der Südinsel Neuseelands, das ein bisschen wie Edinburgh ist.

Ich weiß nicht, was an Pinguinen, Sandstränden und Palmen wie Edinburg sein soll.

Er lacht. Offenbar ist Dunedin das gälische Wort für Edinburgh und die Stadt voll schottischem Erbe.

Bis wir bei der Sicherheitskontrolle sind (die in Singapur erst direkt am Gate ist, damit man sich im Duty Free ja nichts Gefährliches zu trinken kaufen und mit ins Flugzeug nehmen kann) habe ich vergessen, dass ich mir Sorgen machten wollte, einsam zu enden.

Im Flugzeug nimmt dann eine achtzehnjährige, nervöse Backpackerin (alleine!) neben mir Platz und ich muss über mich schmunzeln.

Hilfe bei der Filmsuche

Als ich nach dem Take-off auf der Suche nach guten Film unauffällig die Bildschirme der Menschen vor mir mustere, sehe ich, dass der Mann aus Dunedin zwei Reihen vor mir sitzt.

Er sieht einen Trailer, bei dem es wohl um Galopprennen und ein Mädchen geht, das Jokey werden möchte. So etwas gefällt ihm? Ich hätte ihn eher bei Actionfilmen vermutet.

Ich schimpfe mich für meine neuerliche klischeehafte Vorverurteilung und suche den Film in meinem Bildschirm. Zehn Minuten später bin ich dem Mann aus dem Dunedin sehr dankbar, weil ich den Film davor nicht am Radar hatte und er toll ist.

Er erzählt die wahre Geschichte von Michelle Payne, die 2015 als erste Jockette (jap, laut Duden die weibliche Form von Jockey) den Melbourne Cup gewonnen hat.

Showdown unter Tränen

Es gibt jede Menge Drama, Aufregung, Rückschläge, Enttäuschungen und dass  ich am Ende schluchzen muss, wundert mich nicht. Im Flugzeug weine ich noch leichter, als sonst. Und es braucht auch sonst nicht sehr viel, um mich zum Weinen zu bringen.

Verstohlen blicke ich zu dem Mann aus Dunedin, um zu schauen, wie weit er ist.

Und was macht er in dem Moment?

Wischt sich mit einem Taschentuch über die Augen.

Oh, er muss auch weinen!

Das rührt mich so sehr, dass ich schon wieder weinen muss.

Und obwohl in Neuseeland noch nicht einmal gelandet sind, fühle ich mich dort schon wohl.

Kia ora!

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