S wie Sauberkeit, Spiritualität und Science Fiction

Singapur samt Warnstufe Orange, eine Erfahrung in drei Episoden.

S wie Science Fiction

Ich nehme einen leeren Teller vom Frühstücksbuffet und will mich in der Schlange vor dem Koch für ein Omelette anstellen. Aufgeregt kommt ein Mitarbeiter auf mich zu gelaufen.

Er hat wohl Sorge, mir könnte die Schlange zu lang sein. Wer 100 Euro die Nacht in Singapurs erstem Boutiquehotel zahlt, darf offenbar nicht verärgert werden.

(Die 100 Euro waren nicht meine erste Wahl, aber die Alternative waren futuristische, weiße Pods, die man sich wie übereinandergestapelte Weltraumkapseln vorstellen kann und komplett verschließt. Ohne Fenster oder Tageslicht. Also, Boutiquehotel, here I come.)

Der Boutiquehotel-Mitarbeiter gestikuliert zu der Maschine zu seiner Rechten. Er könnte auch mein Omelette machen, sagt er.

Er?

Jap, er meint wohl den kleinen blechernen Roboter, der vor mir steht.


Man gibt (doch noch von Menschenhand) geschnittene Zwiebel und Paprika in eine kleine Schüssel, drückt auf Omelette oder Sunny Side Up und schon ruckelt der Roboterarm etwas holprig aber zielsicher los, gießt, schüttet, rührt – bis das Eigericht perfekt durch ist. Ich bin fasziniert.

So geht es wohl auch den anderen Gästen. Am nächsten Morgen hat sich die Schlange nicht vor dem Koch, sondern vor dem Eier-Roboter gebildet.

Den Koch scheint das nicht sehr zu freuen. Jetzt ist er es, der die Menschen in der Schlange antippt und zu sich holt.

S wie Spiritualität

Als erstes fallen mir die bloßfüßigen Menschen auf. In Anbetracht von Warnstufe Orange, Masken und Desinfektionsspray doch etwas ungewöhnlich.

Dann höre ich den Gesang, das Klatschen, das Feiern.

Und schon befinde ich mich mitten in der bunten Prozession, die Richtung Sri Thendayuthapani Temple pilgert. Die TeilnehmerInnen sind in beeindruckende bunte Gewänder gekleidet.

Aber was am meisten ins Auge sticht: Der – wie ich später erfahre – Kavadi, ein Ritualgegenstand, mit Blumen, Gold, Heiligenbildern und Pfauenfedern geschmückt, eine Art Sänfenüberbau. Die spitzen Enden stechen den Trägern (so weit ich gesehen habe, nur Männer) in Bauch und Rücken.

Es muss verdammt schwer sein und weh tun, die Träger schwitzen stark.

Thaipusam nennt sich die Prozession, eine Art hinduistisches Thanksgiving, das sich einmal jährlich zu Ehren von Lord Murugan (auch bekannt als Lord Subrahmanyan) abgehalten wird. Der Herrscher über Tugend, Jugend und Macht und Zerstörer des Bösen.

Interessiert gehe ich näher. Ich fühle mich ein bisschen schlecht, weil ich Schuhe trage und die meisten um mich herum nicht. Aber das Gesundheitsministerium warnt schon vor großen Menschengruppen, da kann man unmöglich in einer großen Menschenmenge auch noch barfuß unterwegs sein.

Als ich in den alten Mann (geschätzt 90) laufe, habe ich Sorge, dass er mich schimpft, weil ich doch Schuhe trage. Aber er sieht wohl meine Unruhe, grinst mich an, nimmt zwei Becher vom Stand hinter sich und reicht mir einen. „Milk“, sagt er. Ich will nicht wissen, wie lange die Becher schon in der Sonne stehen. Ich höre meine Hypochonder-Alarmglocken schrillen, fühle mich noch schlechter, nicke und nehme den Becher dankend an.

Der Mann grinst mich wissend an, dann verschwindet er in der Menge. Er weiß bestimmt, dass ich die Milch nicht getrunken habe.

S wie Sauberkeit

Der erste Gedanken beim Betreten des MRT, der U-Bahn Singapurs: Wow, ist das sauber hier. Klinisch fast. Wenn gerade nicht Virusalarm wäre, könnte man vom Boden essen. (Gut, das ist übertrieben.)

Der Griff zur Flasche passiert in der U-Bahn dann automatisch. Im letzten Moment kann ich mich davon abhalten. Die 100 Euro pro Nacht sind teuer genug, ich möchte keine 500 Euro Strafe zahlen. Die blühen einem, wenn man in der U-Bahn isst oder trinkt. Kein Essen, von mir aus.

Aber kein Trinken? Nicht einmal Wasser?

Das Wissen, die kommenden 40 Minuten ohne Trinken auskommen zu müssen, macht mich sehr durstig.

Ich muss mich räuspern. Mein Hals ist schon ganz trocken.

Ich bräuchte ein Zuckerl. Zählt ein Zuckerl zu Essen? Aber Kaugummis sind in der Stadt ja überhaupt verboten. Da werden sie sich über Zuckerl nicht besonders freuen.

Ich schlucke, der Hals ist schon sehr trocken. Das ist ja absurd. Was wenn ich Diabetikerin wäre?

Ich zwinge mich, ruhig zu atmen. In der nächsten Station muss ich ohnehin umsteigen. Vielleicht darf man am Bahnsteig…

Aber  die Kameras blicken einen warnend von allen Seiten an. Ich lasse das Wasser also weiter in der Tasche.

Die Sauberkeit hat also seinen Preis.

Ich finde ein bisschen Dreck jetzt gar nicht mehr so schlimm.

1 Antwort
  1. Kathi
    Kathi sagte:

    Hach, ich muss es mal wieder tun – dir sagen, wie sehr, sehr, sehr ich deinen Blog liebe und feiere! Das mit dem Roboter aber macht mir Angst … Zuerst Omlette, dann Weltherrschaft!

    Antworten

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